Anfang Jänner wurde das US-Kapitol von rechtsextremen Trump-Anhängerinnen gestürmt. Manche waren bewaffnet, es gab Tote und Verletzte.
Wie bitte kann es sein, dass Angreiferinnen ungehindert bis ins Kapitol vordringen? Wo waren die Robocops, die jede Black-Lives-Matter-Demo in Hundertschaften und bis an die Zähne bewaffnet „sichern“? Stellen wir uns vor, die „Protestierenden“ wären People of Color gewesen. Wären sie so weit gekommen? Wäre die Polizei ebenso defensiv vorgegangen? Sicher nicht. Das Kapitol zu stürmen und danach noch am Leben zu sein – das ist wohl der Inbegriff von White Privilege.
Dass demokratische Mitbestimmung und Rechtsstaatlichkeit fragile Errungenschaften sind, wurde in den letzten Jahren überdeutlich – nicht nur in den USA. Nicht allein rechte Regierungen, Politiker wie Trump, Erdoğan oder Bolsonaro, die FPÖ oder die AfD stellen Bedrohungen für demokratische Freiheiten und Menschlichkeit dar, sondern auch rechte Bewegungen aus der Zivilgesellschaft. Und sie sind ein globales Phänomen.
„Unsere unglaubliche Reise“ beginne erst, hat Trump drohend verkündet, und angesichts des Aufwinds, den rechtsextreme Bewegungen aktuell erfahren, sollte man das unbedingt ernst nehmen.
Parlamente stehen dabei symbolisch für den Angriff auf die Demokratie. Im August ließen Rechtsextreme vor dem Deutschen Bundestag ihre Reichsflaggen wehen. In einschlägigen Social-Media-Gruppen wird dazu aufgerufen, den Bundespräsidenten „zu Hause zu besuchen“, das Parlament zu besetzen oder gar anzuzünden. Am Tag des Sturms auf das Kapitol in Washington gab es auch in Wien eine Demonstration von Trump-Anhängerinnen, auf der antisemitische Bilder zu sehen waren. Trump-Befürworterinnen gibt es auch unter den österreichischen Rechten, auch bei den Demonstrationen der Corona-Verharmloserinnen sind sie regelmäßig anzutreffen. Auf diesen Protestmärschen gegen Corona-Maßnahmen wie Masken, Tests und Impfungen tummeln sich unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen, und immer wieder wird darauf gepocht, dass nicht alle Demonstrierenden Nazis seien. Größtenteils sind es allerdings tatsächlich Verschwörungsideologinnen und Rechtsextreme. Beides geht oft Hand in Hand, wie bei den Anhängerinnen von Q-Anon. Diese aus den USA kommende Bewegung zeichnet sich nicht nur durch krude Theorien aus, wie etwa die Überzeugung, politische Eliten würden Kinder foltern, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Auch antisemitische und rechtsextremistische Einstellungen sind weitverbreitet.
Q-Anon ist nicht die einzige Verschwörungsideologie, bei der sich Antisemitismus, rechtsextreme Gewaltfantasien, Antifeminismus und Anti-Establishment-Einstellungen vermengen. Die Alt-Right-Bewegung in den USA, neurechte Strömungen in Lateinamerika, die Gruppierung „Reclaim Australia“ und die Identitäre Bewegung in Europa – sie alle stehen in Verbindung mit Verschwörungstheoretikerinnen und wachsen kontinuierlich. Rechtsextreme Eliten wie Identitären-Chef Martin Sellner mischen sowohl bei den sogenannten Corona-Demonstrationen als auch bei Vernetzungen über Social Media kräftig mit. Trumps Twitter-Bann und das Abdrehen der rechten Plattform „Parler“ sind nur ein kleiner Zwischenerfolg. Rechte Vernetzung findet weiterhin sehr spontan auf Twitter und Facebook statt, neue Gruppen und Hashtags zu gründen ist kein großer Aufwand.
Auf viele Regierungen, die auf dem rechten Auge blind zu sein scheinen, ist kein Verlass, wenn es um den Schutz von Minderheiten, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht. Deshalb ist antifaschistischer Protest der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen alternativlos – doch er wird delegitimiert und kriminalisiert. Bei Antifaschismus geht es nicht um ein paar gelangweilte Autonome, die ein bisschen Steine werfen und Mülleimer umschubsen. Es geht um den Schutz unserer Demokratie vor rechtsextremen Ideologien und Taten, vor Gewalt und Hass. Floskeln wie „So sind wir nicht“ reichen dafür leider nicht.