Wie geht das, immer nur fair hergestellte und gehandelte Waren zu kaufen? Und was bringt ein ganzer Tag ohne jeglichen Konsum? VANESSA REDAK bemüht sich nach Kräften, die fairen Kinderstiefel doch noch zu ergattern, und LEONIE KAPFER kennt die Tücken des „Kauf-Nix-Tages”.
Vanessa Redak: Der perfekte Kinderstiefel – endlich gefunden: aus Naturmaterial, mit Lammfell gefüttert, regenundurchlässig und gemäß Prospekt fair produziert. Aber das Beste: Er sieht gut aus und es gibt ihn nicht in der Farbe Rosa. Der Stiefel ist in zwei Läden in Wien erhältlich.
16.57 Uhr: Ich hetze in den Kindergarten. Um 18 Uhr schließt der Laden mit dem Stiefel. Als Vollzeit berufstätige Frau mit Kind habe ich zwar Geld, aber nie Zeit. 17.26 Uhr: Wir stecken mit dem Bus im Innenstadtstau. 17.41 Uhr: Wir erreichen das Geschäft. Schlechtes Gewissen, dass ich jetzt erst komme, denn die Angestellten wollen sicher pünktlich schließen. 17.44 Uhr: „Ich möchte diesen Stiefel hier aus dem Prospekt in Größe 26 und meine Tochter möchte sich die Farbe aussuchen. Es gibt ihn ja in vier Farben.” Es gibt den Stiefel nur in grau und braun. Die Angestellte bietet mir noch Stiefel anderer Firmen an, aber irgendwie schaffe ich es nicht, mein ästhetisches Bedürfnis ökologischen Interessen zu opfern. Noch dazu, wo es ihn ja gäbe, den Stiefel, der auf wundersame Weise beiden Ansprüchen gerecht wird. 17.56 Uhr: Die Angestellte ruft in der anderen Filiale an, und tatsächlich gibt es ihn dort in Rot. Hervorragend. Da der Laden in der Nähe der Mariahilfer Straße ist, hat er auch bis 18.30 Uhr offen. 17.59 Uhr: Auf der Straße überlege ich kurz, das Ganze doch abzubrechen. Vielleicht doch lieber online italienische Designer-Kinderstiefel bestellen, die mit Sicherheit von chinesischen Sweatshop-ArbeiterInnen im Textilring um Florenz produziert wurden? Nein, es muss den Versuch wert sein.
18.03 Uhr: Wir sitzen im Taxi. Kein Hybrid-Auto. Aber sind Hybrid-Autos überhaupt korrekt? Ich habe keine Ahnung. 18.14 Uhr: Wir erreichen das Geschäft. Die Angestellte ist informiert und bringt sofort den Stiefel 26 in Rot. Das entzückendste Kind der Welt zieht ohne Murren Schuhe aus und setzt sich ohne zu zappeln auf die Bank. Sie rückt mit dem Fuß ein Stück rein, wir zerren und pressen und drücken, dann meint die Angestellte: „Dieser Stiefel ist für Ihre Tochter nicht geeignet. Ihr Rist ist zu hoch.”
Vanessa Redak ist Bankangestellte und lebt in Wien.
Leonie Kapfer: Wenn man beim Gang durch die Konsumtempel unserer Zivilisation wieder auf Lichterketten, Christbäume und übertrieben gut gelaunte Weihnachtsmänner stößt, weiß man, es ist Vorweihnachtszeit. Der Konsum-Höhepunkt des Jahres. „Shop ’til you drop” lautet von nun an die Devise, und das alles nur, um die Liebsten glücklich zu machen.
Wem sich bei der Vorstellung an diese Jahreszeit schon die Nackenhaare aufstellen, für die oder den ist der „Kauf-Nix-Tag” genau das Richtige. 1992 vom kanadischen Künstler Ted Dave ins Leben gerufen, erfreut sich dieser Tag seither in der linksalternativen Szene großer Beliebtheit. Mit dem 24-stündigen Kaufverzicht soll das eigene Konsumverhalten reflektiert und gegen die ausbeuterischen Produktions- und Handelsstrategien der internationalen Konzerne protestiert werden. Dabei wurde das Datum des „Kauf-Nix-Tages” bewusst auf die konsumintensivste Jahreszeit gelegt. In den USA und Kanada findet der „Buy Nothing Day” immer am Freitag nach Thanksgiving statt, in Europa zu Beginn des Weihnachtsgeschäftes.
Jetzt kann man sich über die Effektivität eines solchen Tages sicher streiten, und Sinn der Sache ist es natürlich nicht, das ganze Jahr über wie verrückt zu konsumieren und sich dann mit einem eintägigen Kaufverzicht reinzuwaschen. Aber wenn wir uns der unschönen Wahrheit bewusst werden, dass wir unseren Planeten kaputt konsumieren, wird ein nachhaltiges Konsumverhalten unabdingbar. Momentan verbrauchen 20 Prozent der Erdbevölkerung 80 Prozent aller Ressourcen! Ein solcher Tag kann also sicher zum Nachdenken anregen, und einmal bewusst etwas nicht zu kaufen, was sonst zum alltäglichen Überleben angeblich unabdingbar ist, kann eine sehr erleichternde Erfahrung sein – man merkt, dass man doch gar nicht so abhängig von Dingen ist, wie man dachte.
Zumindest von manchen: Die leere Packung Zigaretten an meinem „Kauf-Nix-Tag” hat mich doch kurz verzweifeln lassen, und ich hab begonnen mich zu fragen, ob „Kauf-Nix” auch „Schnorr-Nix” bedeutet?
Leonie Kapfer lebt in Wien und shoppt am liebsten Second-Hand.