Den Verhandlungen zur gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und damit Milliarden an Agrarförderungen läuft die Nachspielzeit aus. Eigentlich sollten ab 2021 neue Regeln gelten, doch eine Einigung blieb aus. Als Notlösung wird nun zwei Jahre lang Geld nach veralteten Spielregeln verteilt. Derweil verhandeln Mitgliedsländer, Kommission und EU-Parlament, unter welchen Bedingungen über 240 Milliarden Euro von 2023 bis 2027 ausgeschüttet werden sollen. Es geht um viel: welche Landwirtschaft wir haben wollen, wer wie viel kriegt und was unsere Nahrungsmittelproduktion für Umwelt und Klima bedeutet. Der Vorschlag, der am Tisch liegt, wurde von Umwelt-NGOs als schwach und unzureichend kritisiert. Dabei hätte die Landwirtschaft großes Potenzial, der Biodiversitäts- und Klimakrise entgegenzusteuern.
Und noch ein Problem muss endlich angegangen werden: die Ausbeutung von Erntehelfer*innen. Denn neben den Milliarden an Agrarförderungen sind Billigfleisch und Tomaten aus dem Plastikmeer von Almería nur möglich, weil Migrant*innen unter den unwürdigsten Bedingungen schuften. Die portugiesische Ratspräsidentschaft hat sich nun mit einem wichtigen Vorschlag vorgewagt: Betriebe, die ihre Erntehelfer*innen nicht fair behandeln und die gesetzlichen Arbeitsbedingungen verletzen, müssen EU-Förderungen zurückzahlen. Dies wäre eine echte Sanktionsmöglichkeit und entspricht der Praxis bei Verletzungen von Umweltauflagen.
Doch die Agrarlobby will das nicht. Allen voran Österreichs Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, die als Fürsprecherin mit zwölf weiteren Ländern sofort Einspruch erhob. Das Argument: Es brauche mehr Studien, um das Problem zu verstehen, und überhaupt seien arbeits- und sozialrechtliche Standards ja nicht Verantwortung der Agrarpolitik. Ihre Lösung: freiwillige Schulungen und Infokampagnen. Doch die Weigerung, Arbeitsrechte aufzuwerten, ist im Interesse derer, die durch die Ausbeutung von Arbeitskräften Profite machen, und nutzt insbesondere Großbetrieben, die die meisten Förderungen erhalten.
Inge Chen ist Mitbegründerin des feministischen Netzwerks Period. Brussels und arbeitet als Pressesprecherin im Europaparlament.