Ich kann nichts über Feminismus sagen, ohne über meine eigene Identität als Romni und die damit verbundenen Kämpfe zu sprechen.
Mir wurde beigebracht, eine Frau zu sein. Ich erinnere mich, dass ich vier Jahre alt war, als ich zum ersten Mal dachte, dass ich keine Frau sein will. Ich hasste Kleider, ich hasste es, brav zu sein. Ich hasste das rosa Kleid, das ich bei Familienfeiern tragen musste. Ich sah, wie sich die Frauen in meiner Familie um andere kümmerten und nicht um sich selbst. Ich sah zu, wie sie keine Zeit hatten, ihre eigenen Interessen und Leidenschaften zu entwickeln. Ich habe mich mit Büchern versteckt, als man mir vorwarf, ich würde zu viel Zeit mit dem Lesen verbringen. Es sei egoistisch, Interessen zu haben. Ich solle Babys machen, wurde mir gesagt. Als ich 16 war, wusste ich, dass ich Frauen liebe. Ob ich meine Gebärmutter vergeude, fragte mein Vater. Meine „lesbische Phase“ dauert schon mein ganzes Leben lang an.
Eine Frau nach meinen eigenen Bedingungen zu sein, war mir fremd. Als Romni, als Migrantin, als Lesbierin und als geschlechtsverwirrte Frau. Ich kämpfte lange mit der Frage, ob ich mich mit meinem Geschlecht identifizieren kann und lehnte viele Dinge an mir ab. Meine Sensibilität. Meine Gefühle. Eine Zeit lang habe ich Testosteron genommen. Ich wollte zäh, hart und „stark“ sein. Vor allem wollte ich tun, was ich wollte. Also dachte ich, dass ich „ein Mann“ sein sollte, um mich in dieser Welt besser behaupten zu können.
Es hat weitere zehn Jahre gedauert, bis ich meinen internalisierten Sexismus überwunden und mich als Frau akzeptiert habe. Ein befreiender Gedanke dabei war, dass ich mich nicht für ein Geschlecht entscheiden muss.
Das Spiel mit den Identitäten wurde Teil meiner Arbeit. Ich liebe es, mich als Schauspielerin zu verwandeln. Aber die Rollen, die ich als Romni meist bekam, ermöglichten keine Verwandlung: die romanische Bettlerin, die Hure, das Dienstmädchen oder die Geliebte eines Gangsters. Ich dachte, ich müsste mich nur mehr anstrengen, besser werden, die richtigen Leute kennen lernen. Aber die Rollen blieben dieselben, genauso wie meine Haut.
Mit meiner dunklen Haut und meinen schwarzen Locken fiel ich in feministischen Räumen auf. Ich war die Einzige dort. Die feministischen Versammlungen, die ich in meiner Jugend besuchte, waren weiß, ernst und engstirnig.
Als Roma-Künstlerin wollte ich unsere Geschichten erzählen, weil sie sonst verschwinden oder immer aus einer weißen Perspektive erzählt werden. Scham, Schmerz und Wut in Stärke und Stolz umwandeln.
Im Jahr 2010 gründete ich mit meiner Schwester Simonida Selimovic eine der ersten feministischen Roma-Theatervereinigungen namens Romano Svato.
Wir schrieben und produzierten Theaterstücke, Performances und organisierten Festivals wie „E-Bistarde“ über Roma-Kultur und -Kunst, durchbrachen Stereotypen und verbreiteten stolz unsere Muttersprache Romanes. Ich habe die beschämende Erzählung über unsere Herkunft aufgegeben und zum Widerstand aufgerufen.
Ich bin Mitbegründerin von Mindj Panther, einem feministischen Roma-Rapduo, das dem Antiziganismus, Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat den Kampf ansagt. „Mindj“ bedeutet „Pussy“ in der Romani-Sprache. Ich wollte dieses Wort revolutionieren. Mit unserem Rap-Gesang bekämpfen wir Diskriminierung und populistische Hetze. Wir sabotieren rassistische Wahlkampfreden und rufen junge Migranten dazu auf, dagegen zu protestieren.
Das Stück „Roma Army“ entstand aus der Wut und dem Widerstand gegen die Welt der Roma und Gadje (die Nicht-Roma, Anm.). Das Stück wurde sechs Jahre in Folge am Maxim Gorki Theater aufgeführt und gab mir die Möglichkeit, in verschiedenen Theatern zu spielen, sogar im Burgtheater. Ich wollte neue Rollenmodelle für Roma-Frauen schaffen.
Ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Zeit lernen muss, ein Mensch zu sein, nicht eine Frau oder ein Mann. Beide Identitäten bringen Traumata mit sich, die ich nur überwinden kann, wenn ich mich von beiden distanziere und mich neu erfinde. Als Frauen müssen wir lernen, uns im Laufe unseres Lebens zu transformieren, um das Leben zu genießen und Mitgefühl für uns selbst zu entwickeln, damit wir endlich unsere eigenen Träume verwirklichen können.
Das ist es also, was ich in meinen Vierzigern gelernt habe: Eine Frau zu sein bedeutet, die Welt zu verändern. Und das wünsche ich mir für alle Frauen – und für das Magazin zum 40. Geburtstag.
Sandra Selimovic ist Schauspielerin und Regisseurin, sie ist Romaaktivistin, rappt bei Mindj Panther, hat zuletzt im Burgtheater Wien gespielt und wurde dieses Jahr mit dem Nestroypreis nominiert.
www.romanosvato.at
Spotify: Mindj Panther