Ein neuer Stern am Technohimmel, ein USB-Stick als Tampon, ein Gratis-Mix und junge Stimmen schön alt – das neue Jahr fängt musikalisch gut an. Von SONJA EISMANN
Zum Glück müssen weibliche Elektronik-Producer schon lange nicht mehr mit der Lupe gesucht werden. Aber wenn ein neuer female Star aufgeht, ist die Freude immer noch besonders groß – teilen sich doch nach wie vor die Jungs den Sahne-Anteil des Kuchens. Trotz ihres herrlich unspektakulären Namens hat die Niederländerin Steffi das Zeug, uns alle von den Socken zu hauen: Nachdem sie zunächst in Amsterdam als DJ, Labelbetreiberin und Party-Veranstalterin tätig war, hat die Resident-DJ der Berliner Panorama Bar nun mit Yours & Mine (Ostgut Ton) ein fulminantes erstes Album am Start. Grenzen zwischen Genres und Subgenres wie (Deep) House und (elektroidem) Techno interessieren Steffi nur insoweit, als sie sie auflösen kann, was bei ihr so smooth, samtig und tief klingt, dass es schon fast unheimlich ist. Trocken pumpende Beats, romantische Flächen, träumerische Melodien beamen uns straight auf die Tanzfläche.
„This compilation is dedicated to female artists everywhere who doubt themselves. We believe in you”, heißt es in den Liner Notes zu einem ungewöhnlichen Projekt: Rósa ist ein USB-Stick in Form eines überdimensionierten Tampons, auf dem Kunst, Musik und Videos von 17 Frauen aus zehn Ländern versammelt sind. Erschienen ist die datenschwere Compilation auf dem kleinen isländischen Raritäten-Label Hljodaklettar als dritter Release in einer streng limitierten Auflage von nur 65 Stück – handnummeriert, versteht sich. Neben der mittlerweile in Electronica-Kreisen etablierten AGF, die mit drei gespenstischen Videos plus Musik vertreten ist, finden sich großteils unbekannte Künstlerinnen mit experimentellem Ansatz, z.B. ein kurzer Film der in Wien lebenden Russin Anna Ceeh mit Industrial-Sounds zu Strumpfhosenverformungen, skurrile Comics von Birta Thrastardottir, liebevoll dokumentarische Video-Beobachtungen von Touris von Ragnheidur Gestsdottir oder ein perkussiver House-Track von The Black Madonna aka Marea Stamper. Das Stöbern durch die verschiedenen Folder und Formate ist mitnichten mühsam, sondern macht Spaß und Lust auf mehr. Schade eigentlich, dass eine massenhafte Verbreitung nicht vorgesehen ist, aber teilen ist sicher erlaubt.
Apropos teilen: Nun hat auch M.I.A. einen musikalischen Kommentar zur Wikileaks-Affäre abgegeben. Auf der Website http://vickileekx.com kann seit Neujahr ein gut halbstündiger MP3-Mix gratis heruntergeladen werden, den die Künstlerin mit einem Zitat von Julien Assange eröffnet: „We leak the information to the public, and we defend ourselves against inevitable legal and political attacks. Vicki Leekz: leak me.” Die Vergewaltigungs-Vorwürfe scheinen M.I.A. dabei nicht sonderlich zu interessieren, ihr geht es, wie schon auf ihrer letzten Platte „Maya”, in der für sie mittlerweile typischen überdreht paranoiden Art um Kontrolle, Krieg und US-amerikanischen Kapitalismus. Der Mix aus 19 Tracks von üblichen Verdächtigen wie Diplo, Blaqstarr, Switch u.a. und Samples von Missy Elliott, Nicki Minaj oder Book of Love hört sich mit M.I.A.s sympathisch ungelenken Rhymes und Vocals tatsächlich eilig zusammengebastelt an und passt dabei mit seinem irren Tempo und dem blechernen Sound perfekt ins Oeuvre der Provokateurin.
Gar nicht überdreht, sondern höchst gemächlich klingt hingegen die englische Soul-Sängerin Adele. Sie ist eines der schönen Beispiele dafür, dass junge Menschen nicht unbedingt das performen, was gesellschaftlich als „jugendlich” konstruiert wird, sondern in vielen Fällen steinalt, äh, reif und abgeklärt wirken wollen. Bereits mit ihrem absolut erwachsenen Debütalbum vor zwei Jahren, „19”, bei dessen Veröffentlichung Adele – nona – erst 19 Jahre alt war, konnte die Londonerin Begeisterung und Preise einheimsen. Der Nachfolger 21 (XL/Edel) ist erstmals Country-beeinflusst – angeblich spielte ihr der Busfahrer auf der US-Tournee alte Country-Songs vor, die sie mächtig beeindruckten. Trotz alledem steht der melancholisch-bluesige und dabei doch zeitgenössisch poppige Sound, getragen von Adeles kraftvollem 60s-Gesang, immer im Vordergrund. Ein Platz an der Seite der anderen erfolgreichen Retro-Ikonen, Amy Winehouse und Duffy, ist ihr wohl jetzt schon sicher.
Links:
www.myspace.com/steffiklakson
www.hljodaklettar.com/releases.html
www.miauk.com
www.adele.tv