Das Töten beginnt im Kopf. Wer ein Messer in die Hand nimmt und auf eine Frau einsticht, hat zuvor über die Option eines tödlichen Angriffs nachgedacht und sie nicht verworfen. Oder anders gesagt: Er will, oder nimmt zumindest in Kauf, dass sie nicht überlebt. Wer seine Ex-Freundin mit Benzin übergießt und sie dann anzündet, wie in Wien geschehen, muss einkalkuliert haben, dass das tödlich ausgehen kann.
Ein Mann hat den Tod einer Frau als Option im Kopf. Es ist der Gipfel der patriarchalen, frauenverachtenden Denkordnung. Es ist das Paradigma „Frauen sind weniger wert“ bis zum Ende gedacht, ist patriarchales Besitzdenken. Statistisch am gefährlichsten ist für Frauen deshalb die Trennung von einem Mann. Dieses Denken ist mitunter so stark verinnerlicht, dass das Töten nur der letzte logische Schritt ist. Der Begriff „Femizid“ drückt diesen patriarchalen Hintergrund eines Frauenmordes aus. Es ist kein individuelles Thema. Deshalb muss es auch gesamtgesellschaftlich gedacht und gelöst werden.
In Deutschland versucht an jedem einzelnen Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten, alle drei Tage gelingt es einem. In Österreich berichten Medien derzeit alle zwei Wochen von einem Femizid. Meist ist der Partner oder Ex-Partner der Täter. In Mexiko gibt es inzwischen zehn Morde an Frauen pro Tag, die feministische Bewegung „Ni una menos“ kämpft in ganz Lateinamerika gegen diesen mörderischen Machismo.
Femizide sind ein globales Problem, sie sind die Spitze des patriarchalen, frauenverachtenden Eisbergs. Und anders als das Eis der Weltmeere wächst er weiter. 2015 zählte die Kriminalstatistik 17 Frauenmorde in Österreich, 2016 waren es schon 28. 2018 wurden 41 Frauen ermordet. 2021 töteten bereits sieben Männer ihre (Ex-)Partnerin.
Am vergangenen Frauentag hat die EU-Grundrechteagentur (FRA) eine aktuelle Studie veröffentlicht. Demnach haben zwanzig Prozent der Frauen zwischen 16 und 29 Jahren in Österreich bereits körperliche Gewalt erlebt. Nur 17 Prozent der Frauen in Österreich meldeten die Vorfälle bei der Polizei. Den unrühmlichen Platz eins in Europa belegt Österreich nicht nur bei der Gewaltstatistik. In keinem anderen EU-Land gibt es außerdem, wie hierzulande, mehr weibliche als männliche Mordopfer.
Die Gründe für die hohe Zahl an Gewalttaten und Femiziden sowie für die geringe Melderate sind u. a. in den Lücken im Gewaltschutz zu finden, worauf Expertinnen nicht müde werden hinzuweisen. „Jeder Frauenmord hat eine Vorgeschichte“, schreibt der Verein der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser in einer Aussendung. „Auf dem Papier haben wir gute Gesetze und effiziente Opferschutzmaßnahmen. Aber was hilft das, wenn die Behörden nicht oder nicht rechtzeitig oder nur inkonsequent reagieren? Wenn der Staat von Gewalt betroffene Frauen nicht schützt, ist das ein Freibrief für die Täter!“
Das ist der Teil des Eisbergs, der sich knapp unter dem Wasserspiegel befindet. Tief unten im Dunkeln versteckt sich die eisige Basis von Gewalt und Verharmlosung. Patriarchale Denkmuster bilden die Grundvoraussetzung für die Gewalttaten wie auch für das systemische Versagen der Schutz- und Aufklärungsmaßnahmen. Sie sind auch eine Erklärung für die mediale Berichterstattung: „Beziehungstat“, „Feuerattacke“, „Eskalierter Ehestreit“ sind verharmlosende Begriffe, die den Femizid verschleiern – nicht bewusst, weil was im dunklen Wasser ist, wirkt im Verborgenen. Aber: Wir könnten hier bewusst gegensteuern und die Sprache ändern. Journalist*innen sind in der Lage, mit Sprache Bilder zu erzeugen und Wirklichkeiten zu definieren. Sie müssen sogar.
Der Widerstand gegen patriarchale Gewalt ist mit der #Niunamenos-Bewegung quer durch Lateinamerika besonders eindrucksvoll – und er wird auch in Österreich in den Straßen sichtbar. Nach jedem Femizid organisieren mehrere Initiativen kurzfristige Kundgebungen in Wien unter dem Titel „Nehmt ihr uns eine*, antworten wir Alle!“. Nichts weniger als lauten und unübersehbaren Protest braucht es. Auf allen Ebenen und jeden Tag. Die tödliche Normalität – wir dürfen sie niemals akzeptieren.