Wenn eine Dragqueen öffentlich aus einem Kinderbuch vorliest, dann ist das eine höchst gefährliche Angelegenheit für zarte Kinderseelen, gegen die unbedingt Sturm gelaufen werden muss.
Was wie eine Parodie klingt, ist leider keine. Mitte April trafen in Wien an einem Sonntagmorgen rechtsextreme Demonstrant*innen und zum Glück eine große Überzahl Gegendemonstrant*innen, getrennt durch eine noch größere Vielzahl von Polizist*innen, vor dem queeren Zentrum Türkis Rosa Lila Villa aufeinander. Dort fand eine Kinderbuchlesung statt, performt von einer Dragqueen. Es war nicht die erste Lesung in diesem Jahr, die von der rechtsextremistischen Gruppe der Identitären gestört wurde.
Nicht nur auf der Straße wird gegen Drag gehetzt: Im Parlament fordert die FPÖ gar ein Verbot solcher Events. Angriffe auf queeres Leben häufen sich nicht nur in Österreich: In Texas, USA, gibt es momentan Versuche, queere Bücher zu verbieten. Der Bundesstaat Tennessee will alle Drag-Performances abschaffen. Im österreichischen Nachbarstaat Ungarn wird der Verkauf queerer Kinderbücher eingeschränkt und im Parlament über ihr komplettes Verbot debattiert. Diese Hetze bleibt nicht folgenlos: In Bratislava wurden im vergangenen Herbst zwei Menschen vor einer queeren Bar erschossen, in Münster wurde ein trans Mann auf dem Christopher Street Day zu Tode geprügelt.
Queerfeindlichkeit ist kein neues Motiv rechter Bewegungen. In der sogenannten „Verteidigung“ der heterosexuellen bürgerlichen Kleinfamilie treffen sich rechte, fundamentalistisch-christliche und bürgerlich-konservative Ideologien immer schon. Dass zuletzt Kinderbücher bzw. Veranstaltungen für Kinder vermehrt angegriffen werden, ist aufgrund dieser ideologischen Überschneidungen nicht verwunderlich. Beim vermeintlichen „Kinderschutz“ sind sich das rechtsextreme und das konservative Lager schnell einig. Der Protest richte sich ja nicht gegen queere Menschen an sich, heißt es dann, sondern bloß gegen die „Frühsexualisierung“ der Kinder. Abgesehen davon, dass genau jene FPÖ, die sich nun so sehr um die Kinder sorgt, während ihrer Regierungszeit mit der ÖVP munter daran werkelte, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder zu kürzen, ist auch die „Frühsexualisierung“ nichts anderes als ein strategischer Schwindel. Bei Drag geht es um den radikalen Ausdruck der eigenen Identität, nicht um Sexualität. Für Kinder sind Dragqueens einfach bunte und außergewöhnlich aussehende Menschen, die genauso Freude, Angst oder Verwirrung auslösen können wie alle anderen ungewohnt auftretenden Menschen, beispielsweise Clowninnen oder Polizist*innen in Kampfmontur.
Dank der queeren Kämpfe und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gehört stumpfe Homofeindlichkeit nicht mehr zum guten Ton in Österreich. Queerfeindlichkeit explizit und offen zu kommunizieren und zu leben, ist nicht mehr so anschlussfähig wie noch vor einigen Jahren. Deshalb eignet sich das Argument des „Kinderschutzes“ so hervorragend, um diesen Hass dennoch weiterhin ausleben zu können.
Ihn gibt es nicht nur am rechten Rand, sondern auch in der bürgerlich-konservativen „Mitte“ der Gesellschaft – und wie die sogenannte Transdebatte zeigt, leider auch in der feministischen Szene. Selbst hier wird oft mit dem Vorwand argumentiert, Kinder vor falschen Entscheidungen, Verwirrung, Sexualisierung und Übergriffen schützen zu wollen.
Egal, aus welcher Richtung der Hass kommt, die Antwort muss immer dieselbe sein. Die Proteste vor der Türkis Rosa Lila Villa haben es erneut gezeigt: Die queere Community ist bunt und laut und stark. Wir lassen uns nicht einschüchtern. •