Als Vorpubertierende in den Neunzigern saß ich eines Nachmittags auf meinem Bett unter der Dachschräge mit der Buckelwalpostersammlung, als A. mein Zimmer betrat. A. war jünger als ich, aber dank einer älteren Cousine immer stets irgendwie eingeweihter in die Geheimnisse darüber, was man als Vorpubertierende am besten tun sollte. Mit strahlenden Augen öffnete sie verschwörerisch das CD-Deck meiner kleinen Boombox, legte eine CD ein, drückte „Play“ – und trat eine Lawine los.
Es blieb keine Zeit, um skeptisch zu sein! Das gesamte Marketingteam der Backstreet Boys rieb sich irgendwo anders auf der Erde die Hände, machte einen Strich auf einer geheimen Liste und flüsterte „Eine mehr …“, während meine Hormone mich Kopf voraus in einen Strudel warfen, in dem kein Kinderzimmer groß genug für alle Boybandposter dieser Erde war und es vollkommen inakzeptabel schien, wenn beim „Bravo“-Starschnitt noch zwei Teile fehlten. In meinem Tagebuch findet sich der mit zitternder Hand gekritzelte Eintrag : „AJs LINKES BEIN FEHLT NOCH IMMER WO IST AJs LINKES BEIN?!?“
Die Zeit mit Nick, Kevin, Howie, AJ und Brian war kurz und verwirrend. Meine Schulfreundin C. sagte, ich müsste mir einen Lieblingsboy aussuchen, aber ich konnte mich nicht entscheiden. Wie konnte es sein, dass Nicks Mittelscheitel sonntags am coolsten war, montags allerdings nur Brians Diamantohrring hell genug funkelte? War es okay, Kevin gut zu finden, obwohl er der Älteste war? Und war AJ wirklich so gesetzlos wie alle behaupteten, und wenn ja, würde er mich überhaupt cool finden?
Als ich mir mit 13 eines Sommers in Dublin meine erste eigene Kassette für meinen neuen metallic-grünen Walkman kaufte, griff ich zu Hansons „MMMBop“ und fühlte mich wochenlang wie eine Verräterin. Zu Hause nahm ich BSB still von der Zimmerwand und hielt Nick und Howie dabei die Augen zu. Es tat mir ehrlich leid.
Anna Kohlweis hörte ein Jahr nach der Hanson-Kassette zum ersten Mal Radiohead und ritt selig grinsend mit Thom Yorke auf einem Einhorn in den Sonnenuntergang.