Vor einem Jahr gab es einen Tag, an dem ich oben auf dem Haus des Meeres stand und Wien fotografierte, weil die Stadt an diesem Tag nicht da war. Verschluckt von einer Wand aus weißem Nebel war das Einzige, das ich sehen konnte, eine Frau am anderen Ende der Aussichtsplattform, die durch eines dieser schwenkbaren Terrassenferngläser blickte. Aussichtslos.
„Man möchte nie wieder in diesem Moment sein, in dem jemand sagt ‚Etwas Schlimmes ist passiert‘, man möchte auch nicht selber diejenige sein, die das sagen muss. Es ist der grässlichste Wissensvorsprung “, schrieb meine Freundin Michaela Taschek vor Kurzem über das Trauern.
Ich erinnere mich an die Oktobernebelwand, weil ich jetzt weiß, was ich damals gerade noch nicht wusste und was ich an dem Tag erfahren würde: dass ein guter Freund beschlossen hatte, nicht mehr zu existieren.
David Murobis Tod ist nicht nur eine kleine persönliche Geschichte in meinem kleinen Leben, geprägt von oft bizarren Konversationen mit ihm, in denen wir mit Sprache Pingpong spielten und beide immer das letzte Wort haben wollten. David war mit seiner Kamera da, als Wien für mich zu meiner Musikmachstadt wurde. So sehr er für das Publikum unsichtbar bleiben wollte, so sehr ließ meine latente Nervosität vor Konzerten nach, wenn ich wusste, dass er in der ersten Reihe hockte. Bescherte mir das eigene Lampenfieber Bauchschmerzen und zitternde Knie, sah ich am nächsten Tag in seinen Konzertfotos nur das, was ich nicht fürchterlich fand. Die ersten Jahre des vorsichtigen Fußfassen auf Bühnen waren durch den David-Filter einfacher, er war ein Vergrößerungsglas für Details, für das Spezielle, das ich oft selbst nicht sah. In seinen Fotografien wuchsen wir alle über die Jahre. In seiner sanften Art hinterließ David in vielen von uns tiefe Spuren, und oft hätte ich gern für einen Tag in seinem Hirn gewohnt, um irgendwas Undefinierbares zu verstehen. Wie verrückt, eigentlich, und wie wunderbar, dass wir uns alle so lange durch seine Augen selbst sehen durften.
Anna Kohlweis vermisst David nicht nur in diesem Oktober und arbeitet schon immer gerne zum Thema Tod. Sie kann deswegen aber auch nicht besser damit umgehen.
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