110 Jahre nach der ersten Putzmittelwerbung sind es immer noch die Frauen, die in den TV-Spots lächelnd die Drecksarbeit machen. OLJA ALVIR über Ekel, Saubermachen und Geschlecht.
„In einer perfekten Welt könnte man den Schmutz wie eine Folie abziehen“, sagt die lächelnde, brünett-adrette, in fast beißendes Weiß gekleidete Frau im Putzmittel-Werbespot, während sie braune Flecken von der Badewanne abzieht. Wirklich? Das kommt Werbefuzzis als erstes in den Sinn, wenn sie an „eine perfekte Welt“ denken? Nicht Frieden, Gleichberechtigung, genug zu essen für alle und die Beseitigung aller Krankheiten? Nun gut. Wäre es aber zumindest nicht logischer , dann gleich überhaupt keinen Schmutz zu haben in einer „perfekten Welt“? Doch dann, denken die Executives vermutlich, hätte ja die Frau in der Bluse, deren Zähne mit ihren Knöpfen um die Wette blitzen, nichts mehr zu tun.
Einen Mann habe ich in einer Putzoder Waschmittelwerbung überhaupt noch nie gesehen. Außer vielleicht beim Herumtollen mit den Kindern im Garten, bevor sich die Familienmitglieder befleckt und besorgt im Haus an die Mami wenden, die zum Glück gerade eben das neueste Mittelchen entdeckt hat, mit dem die Wäsche wieder strahlend weiß, bunt oder schwarz wird – je nachdem, in welchem Farbspektrum die Verkaufszahlen gerade gesunken sind. Nie wendet sich eine Putzmittelwerbung an eine Männer-WG, an drei junge Studis, die im Altbau darüber rätseln, wie man die verschimmelte Dusche wieder sauber bekommt. Auch der selbstbewusste Single-Mann wird nicht mit einer in dunkelblau und schwarz gehaltenen „For Men“-Putzmittelreihe beglückt, wie es im Kosmetikmarketing seit der Erfindung des Wortes „metrosexuell“ üblich ist. Nein, das Putzen und Waschen ist, wenn man sich die Werbung ansieht, eine reine (pun intended!) Frauensache. Genauer gesagt, eine Familienmütter- und Hausfrauensache.
Mutter-Vater-Kind. Existierende Lebensrealitäten werden ignoriert und ein Familien- und Frauenbild aus den 1950ern transportiert: Die einer imaginierten weißen Mittelklasse angehörende Familie hat immer zwei bis drei Kinder und lebt in einem Vorstadthaus mit großem Bad und großer, heller Küche und Garten, der Mann ist abwesend. Es kommt beizeiten zu brenzligen Situationen wie zum Beispiel zum Besuch anderer Frauen (Schwiegermutter, Nachbarin), die die Putzkünste der Lächelprotagonistin womöglich kritisieren, bestimmt aber begutachten werden. Von Patchwork-Familie, WG- oder Studiheim-Leben, gleichgeschlechtlichen Eltern, People of Color oder kinderlosen Menschen ist in dieser gleißenden Welt nichts zu sehen.
Abgesehen davon, an wen sich diese Werbungen wenden, ist auch interessant, wie Schmutz und Reinheit personalisiert werden: beide nämlich männlich – man denke nur an „der General“ oder „Meister Propper“. Es kommt zu einem Kampf zwischen weißen („dem Saubermann“) und braunen beziehungsweise schwarzen Männlichkeiten („dem Schmutz“), die Verbindung zwischen Weißheit, Reinheit, Gesundheit und Schönheit beziehungsweise „dem Guten“ und „dem Erwünschten“ wird bestärkt.
Keine Arbeit. Die in TV-Spots porträtierten Frauen jedenfalls sind vor der Entdeckung des neuen Putzmittels immer verzweifelt und am Schuften. Nach der Erleuchtung durch die Werbung wird die Reinigung des Haushalts „ein Leichtes“, das Mittelchen wirkt wie ein Zauber – ein kluger Trick, und schon hat frau sich Arbeit erspart. Wer jemals geputzt hat, weiß, dass das mitnichten so ist und dass vielleicht gerade solche Werbungen Reproduktionsarbeit ihren Arbeitsaspekt absprechen. Jedenfalls sind Frauen immer die – sorry – Angeschissenen. Wenn sie schrubben, wird es ihnen als Dummheit angelastet – (schließlich nähme ihnen das richtige Mittel die Arbeit ab) – wenn sie nicht putzen, ist es auch nicht recht. Denn wer sich nicht ordentlich um den Haushalt kümmert, ist automatisch eine schlechte Mutter. Von der Auslagerung der Putzarbeit an externe DienstleisterInnen ist (vielleicht auch deshalb) in der Strahlewelt der Werbung ebenfalls keine Spur. Schließlich ist Putzkraft ein Beruf niedrigen Prestiges, den oft Frauen ausüben, die nicht gerade aussehen, sprechen und agieren wie unsere Normschönheit. Da müsste man sonst noch die Existenz von PoC oder Armut in unserer Gesellschaft zur Kenntnis nehmen.
Spannend sind im Bezug auf Reinheit und Gender die verschiedenen Diskurse, die beim Thema Putzen verquickt werden. Einerseits ist Weiblichkeit historisch gesehen unter anderem wegen der Menstruation von vornherein als „unrein“ gebrandmarkt. Andererseits ist die Reinheit im Haushalt aber ihre Aufgabe. Zwei Schlussfolgerungen sind denkbar: Da Weiblichkeit etwas Schmutziges ist, muss Putzen Frauensache sein. Gleichzeitig gibt es jedoch das dieser Logik widersprechende Stereotyp, wonach Frauen im Haushalt per se sauberer sind als Männer. Also was jetzt: Sind wir schmutzig und müssen deshalb putzen? Oder sind wir sowieso reinlicher und können das deshalb eh gleich übernehmen?
Tabu Schmutz. In meinen literarischen Texten schreibe ich sehr gerne über vermeintlich „Ekliges“ und „Schmutziges“; ich habe eine generelle Faszination für die Dinge, die noch unausgesprochen und unausgedrückt (auch hier, pun intended) sind. Noch wurde mir diesbezüglich nicht billige Effekthascherei unterstellt, allerdings merke ich bei Lesungen oder an Feedback von LeserInnen, dass Themen wie Stuhlgang, Pickel, Eiter oder Blut und „Keime“ – auch unter jüngerem Publikum – weitaus größere Tabus sind, als man im Jahre 2016 annehmen würde. Es gibt fixe Normen, die selten hinterfragt werden. Warum muss ich zum Beispiel meine Hände waschen, wenn ich bei mir zu Hause auf dem Klo war? Da war ja nur ich! Wieso sind öffentliche Toiletten derart verhasste Orte, obwohl sich auf jeder Bürotastatur und jeder Straßenbahn-Haltestange nachgewiesenermaßen mehr Keime finden als auf einer Klobrille? Und warum ist es eigentlich so schlimm, einen Fleck auf der Kleidung zu haben – sei es vom Essen, Schweiß oder Sport? Rational ist das nicht.
Die Bilder, die ich gerne in meiner Literatur erzeuge oder vors innere Auge zerre, finden ihren Weg nie in Magazine oder ins Fernsehen. Sogar der Schmutz muss halbwegs ansehnlich sein, wenn er im Rampenlicht steht, So wird Ungeliebtes durch blaue Flüssigkeit, braune gleichmäßige Paste oder gar farbenfrohe, fröhliche Flecken dargestellt. Oft denke ich mir, eine offene Diskussion über Sauberkeitsstandards könnte gesellschaftlich zu viel Aufklärung und Abbau negativer Stereotype führen. Bis dahin werde selbst ich brav so tun, als würde ich mir nach dem Klo die Hände waschen – wenn Besuch da ist, versteht sich.
Olja Alvir ist freie Autorin und Journalistin.