„Wir wollen Sex“, lautet die klare Botschaft in GABRIELE SCHWEIGERS Film „Die Lust der Frauen“. Fünf Frauen über 60 brechen lustvoll ein Tabu und fordern ungeniert Befriedigung. Von MIRJAM BROMUNDT
„Ich brauch’ den Mann eh nur für ein Thema“, lacht Brigitte und wirft ihrer Interviewerin einen schelmischen Blick zu. Brigitte ist 64 Jahre alt und eine von fünf mutigen Frauen, die sich in Gabriele Schweigers Film „Die Lust der Frauen“ vor die Kamera trauen. Von Schamgefühl oder peinlicher Berührung keine Spur, und so rüde wie die Bemerkung klingt, ist sie dann doch nicht gemeint. Von ihren Freundinnen unverstanden, hat sich Brigitte bewusst dafür entschieden, keine feste Bindung mehr einzugehen und sich kurzerhand im Internet einen Liebhaber gesucht. Auf Sexualität will die 64-Jährige in ihrem Leben nämlich keineswegs verzichten und pfeift auf Tipps wie jenen, dass man sich im Alter besser auf den Rücken legt, um die faltigen Schwimmreifen zu verstecken. „Ich war nach Absetzen der Pille supergeil und mein Mann fand das furchtbar“, erzählt Christa über ihr eheliches Sexleben. Seit sie nach zehnjähriger Abstinenz ihren um 24 Jahre jüngeren Freund kennenlernte, blüht die 65-Jährige regelrecht auf und steht voll und ganz zu ihren Bedürfnissen – denn: „Der Spaß kam erst durch die Selbstbestimmung.“
Auch vom Geist her schlaff. Auch Bernadette fordert ihr Recht auf Sexualität im Alter ein. Hatte sich die 63-Jährige als junge Frau noch für ihren ersten Mann „aufgehoben“, brach sie bald aus der (christlichen) Norm aus und hat heute ihre Probleme, einen ausreichend potenten Mann zu finden. Weil: „Ältere sind oft auch vom Geist her schlaff“. Sex gehört für Bernadette zum Altern in Würde, denn ihr sinnliches Empfinden hat sich wie jenes von Ina entgegen gängiger Klischees nach den Wechseljahren noch gesteigert. Um der Harmonie in der ersten Ehe willen hat Ina (62) ihre eigenen Wünsche oft hintangestellt und erst in der jetzigen Ehe Formen gefunden, wie Sexualität für sie und ihren Partner befriedigend funktionieren kann.
Sexualität im Alter wird von den Frauen immer noch als gesellschaftliches Tabu empfunden: Ältere Menschen haben keinen Sex, keine erotischen Begehrlichkeiten und allein der Gedanke daran werde gerne als unappetitlich abgetan. Bernadette will nicht nur als Oma für ihre Enkelkinder da sein, für Brigitte konnte es mit 40 noch nicht alles gewesen sein, und auch Birgit (70) braucht Herausforderungen in Erotik und Sexualität, was sie am Konzept der Monogamie zweifeln lässt.
Einfach nicht in Illustrierte schauen. In Gabriele Schweigers „Die Lust der Frauen“ stehen fünf Frauen aus verschiedenen Lebenszusammenhängen vor der Kamera, die entwaffnend offen für dasselbe eintreten: erfüllenden Sex im Alter. Nach dem kleinen Kaffeekränzchen oder dem schön gedeckten Jausentisch, in einer Beziehung oder einer losen Konstellation – bei den Damen geht es zur Sache wie bei den Jungen, nur mit einigem mehr an Erfahrung und mit weniger Problemen. Verhütung ist nach den Wechseljahren kein Thema mehr, die Kinder sind schon aus dem Haus, und Sinnlichkeit wird nicht mehr mit oberflächlicher Schönheit gleichgesetzt. Die Frauen stehen zu ihren Falten, den nicht mehr ganz so straffen Körperteilen und Rundungen, und haben kein Problem damit, sich nackt zu zeigen. „Einfach nicht in Illustrierte schauen“, rät Christa und ist mit ihrem Körper rundum zufrieden.
Ich will. Selbstbestimmung ist der zentrale Begriff, um den sich Schweigers Dokumentation über Sexualität entspinnt. Das „Ich will“ oder das „So will ich nicht“ der Frauen ist das Resultat eines langen emanzipatorischen Prozesses, den jede auf ihre Weise gestaltete und der sie heute ihr Leben und ihre Sexualität in vollen Zügen genießen lässt. Sie bestimmen, was, wann und wie etwas passiert, sie sagen, was sie wollen und das trotz der Skepsis in ihrer – auch familiären – Umgebung, in der älteren Menschen gerne die Rolle der Bedürfnislosen zugeschrieben wird. Intime Kuschelszenen haben in „Die Lust der Frauen“ genauso Platz wie Alltäglichkeiten oder mit Fotos illustrierte Blicke in die Vergangenheit. „Nein, man muss nicht. Nicht mit 35 und auch nicht mit 50“, fasst Brigitte ihr Anliegen zusammen, „aber man darf!“ Und soll es wie die fünf Protagonistinnen auch genießen.
„Die Lust der Frauen“ (A 2011, 61 min), ab 25. März 2012 täglich im Filmhaus Kino am Spittelberg und über den Stadtkino Verleih österreichweit in den Kinos.
Am 8. Mai 2012 ist der Film außerdem im „ORF“ bzw. Mitte des Jahres auf „3sat“ zu sehen. Die DVD ist für 18 Euro bei der Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion (office@geyrhalterfilm.com) erhältlich.