Ein Kommentar von GABI HORAK
Im Land mit der „lebenswertesten“ Hauptstadt sind mehr als 400.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Besonders betroffen sind Familien mit mehreren Kindern und jene mit einem Elternteil. Alleinerziehende – zu 93 Prozent Frauen – sind mit 42 Prozent die Gruppe der Erwerbstätigen mit der höchsten Armutsgefährdung.
„Arm“ zu sein bedeutet hierzulande, die Wohnung nicht heizen zu können, sich keine ausgewogene Ernährung leisten zu können, kein Geld für Urlaub oder Schulausflüge zu haben. Kinder, die in Armut aufwachsen, sind häufig auch als Erwachsene von Armut betroffen; mit allen Langzeitkosten, die sich dadurch für die Gemeinschaft ergeben. Weder menschlich noch volkswirtschaftlich ist es also hinnehmbar, Kinderarmut einfach zu ignorieren – trotzdem passiert genau das. Jedes zehnte Kind lebt mit einem alleinerziehenden Elternteil und ist damit mehr als doppelt so häufig von Armut betroffen als Kinder aus Zwei-Eltern-Familien.
Alleinerzieherinnen organisieren sich – beispielsweise in der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) – und versuchen auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen: auf die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erreichen, auf die Lücken im Unterhaltsrecht (18 Prozent bekommen weder Unterhalt vom Vater noch Unterhaltsvorschuss vom Staat). Eine Novelle des Unterhaltsvorschussgesetzes fordern Betroffene seit Jahren. Denn der darin ermöglichte und sofort wirksame Antrag auf Herabsetzung des Betrages durch den Unterhaltspflichtigen stürzt jedes Jahr unzählige Alleinerzieherinnen für Monate oder Jahre in die Armut. Trotz der oft überwältigenden Last, die Alleinerzieherinnen stemmen, fehlt der Rückhalt in der Gesellschaft. Die Stimmung in diesem Land wird in Postings und Kommentaren in Online-Medien und sozialen Medien sichtbar. Die Alleinerzieherin sei „selbst schuld“ an ihrer Lage, hätte sie den Mann nicht „rausgeekelt“, hätte sie mal keine Kinder bekommen, wenn der Mann nicht der richtige war. Abgesehen von der „Schuldfrage“, die auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird, soll hier ein Bild von einer Zwei-Eltern-Norm konstruiert werden, das weit entfernt ist von jeder Realität. In den insgesamt fast vier Millionen Haushalten in Österreich leben nur 28 Prozent Paare mit Kindern, Tendenz sinkend. Statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine heute geschlossene Ehe wieder geschieden wird, bei 42 Prozent. Die 251.000 Alleinerzieherinnen sind keine Normabweichung, sondern bilden eine der mittlerweile häufigsten Familienformen. Deren hohe Armutsgefährdung jedoch ist kein Naturgesetz, sondern politisches Versagen. In einer vom Sozialministerium beauftragten Studie zu Alleinerziehenden in Österreich aus dem Jahr 2011 heißt es: „Eltern in prekären und deprivierten Lebenslagen können oftmals nicht in ausreichendem Maß für die ökonomische Grundsicherung und damit auch für die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung ihrer Kinder sorgen. Besonders alleinerziehende Eltern können vielfach die zu versorgenden Kinder nicht vor Armutserfahrungen schützen. Eine Kindergrundsicherung erscheint daher dringend notwendig. Alle in Österreich lebenden Kinder, unabhängig von der Familienform, in der sie leben, und von ihrer Herkunft (Migrationshintergrund), sollen darauf einen gesetzlichen Anspruch haben.“
Im Regierungsprogramm der SPÖ-ÖVP-Koalition von 2013 wurde angekündigt: „Weiterentwicklung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Erstellung einer aktuellen Kinderkostenanalyse“, um auf Basis gesicherter Daten Novellen und eine Kindergrundsicherung zu diskutieren. Im neuen „Arbeitsprogramm 2017/2018“ findet sich von der „dringenden“ Kindergrundsicherung und der Novelle des Unterhalts jedoch kein Wort mehr und auch keine konkrete Maßnahme gegen die hohe Armutsgefährdung von Alleinerziehenden. Auf an.schläge-Nachfrage im Familienministerium, wie es mit der angekündigten Kinderkostenanalyse vorangehe, hieß es, die „budgetäre Bedeckung für die Durchführung einer fundierten Studie ist im aktuellen Budgetrahmen nicht gegeben“.
Eine Politik, die den Kampf gegen Armut in den Familien nicht zur Priorität erklärt, begünstigt genau jenes gesellschaftliche Klima, das allen Alleinerzieherinnen das „Selbst-schuld“-Stigma überstülpt. Damit dürfen die Frauen und ihre Kinder weiter arm sein, ohne dass wir ihre Hilferufe ernstnehmen müssen. Nein – die Frauen sollen nicht noch lauter schreien müssen, sondern die Politik muss die beschämenden Realitäten sichtbar machen, ihr bisheriges Versagen anerkennen – und dann endlich konkrete Gesetze für eine Kindergrundsicherung schaffen. Ich begrüße die neue Frauenministerin und fordere sie auf, nachdrücklich darauf zu bestehen.