Ein Kommentar von GABI HORAK
Ich bin in einer kleinen, schimmeligen Wohnung aufgewachsen. An der feuchten Wand neben meinem Bett krabbelten die Kakerlaken auf und ab. Jeden Abend bin ich mit der Decke über dem Kopf eingeschlafen, mit dem Gedanken: Hoffentlich ist alles dicht, damit die Viecher nicht zu mir rein kriechen. Wenn die eigene Wohnung kein sicherer Rückzugsort ist, prägt das ein Kind nachhaltig.
Warum ich daran dieser Tage wieder denken muss? In dem Altbau-Zinshaus in einem Wiener Außenbezirk, in dem ich heute lebe, gibt es 24 Wohnungen. Wahlberechtigt waren nur sieben Personen – hier hat die Minderheit über die Mehrheit entschieden. In Häusern in den Innenbezirken war es meist umgekehrt, dort konnten die meisten BewohnerInnen wählen. Die Innenbezirke entscheiden über die Außenbezirke.
Was ist daraus ablesbar? Zum Offensichtlichen: Viele Menschen, die hier leben, dürfen nicht mitentscheiden, welche Politik ihr Leben die nächsten Jahre bestimmt. 7,5 Millionen Menschen in Österreich sind mindestens 16 Jahre alt, tatsächlich wahlberechtigt sind nur 6,4 Millionen. Allein in Wien dürfen 440.000 Menschen mangels StaatsbürgerInnenschaft nicht wählen – das sind mehr Menschen, als in ganz Vorarlberg leben. In den Wiener Außenbezirken liegt der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten teilweise bei vierzig Prozent.
Wo Menschen wohnen, verrät viel über ihre finanziellen Möglichkeiten, über ihren sozialen Status, über ihre Armutsgefährdung, Bildungs- und Zukunftschancen. Wenn in einem Mietshaus im Wiener Außenbezirk zwischen mehreren lauten Hauptverkehrsrouten der Großteil der BewohnerInnen nicht wahlberechtigt ist, dann ist das kein Zufall. Es sind Menschen, die schlichtweg nicht die Möglichkeit haben, sich eine hübsche Wohnung in einem zentralen Bezirk oder im Grünen auszusuchen. Sie können immerhin noch die Mieten am freien Markt aufbringen. Andere schaffen auch das nicht mehr und sind auf sozialen Wohnbau angewiesen. Und wie dieser gestaltet ist, wie viele Wohnungen in welchen Wohngegenden unter welchen Bedingungen verfügbar sind, das steuert direkt die lokale Politik. Von Wahlfreiheit, eine Wohnung auszusuchen, die den eigenen Bedürfnissen entspricht, kann in diesem Bereich keine Rede sein. Wie es eine Freundin von mir unlängst ausdrückte: „Ich bin dazu verdammt, hier zu bleiben.“ Hätte sie die Wahl, würde sie raus aus der Stadt ziehen, in eine Wohnung, die ihre chronische Erkrankung nicht auch noch fördert.
Es ist nicht egal, wo und wie wir wohnen. Es hat unmittelbaren Einfluss auf die wichtigsten Kriterien guten Lebens: In welche Schule können die Kinder gehen? Macht mich die Wohnung und die Gegend krank oder gesund? Welche Jobs sind erreichbar? Es gibt unzählige Studien, die Korrelationen zwischen Wohnsituation und Sterblichkeit herstellen sowie Zusammenhänge mit Armutsgefährdung und deren „Vererbung“. Der Druck durch hohe Wohnungskosten wird immer größer. Die Quadratmeterpreise einer Wiener Mietwohnung haben sich in den vergangenen zehn Jahren um rund ein Drittel erhöht. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO können sich 15 Prozent der WienerInnen keinen angemessenen Wohnraum leisten. Das ärmste Viertel muss bereits die Hälfte des Einkommens nur für die Miete aufwenden.
Warum also wird das Grundrecht Wohnen nicht als zentrales sozialpolitisches Anliegen diskutiert? Es müsste auch im Zentrum feministischer Frauenpolitik stehen, denn Frauen sind von Wohnungspolitik stärker betroffen: Sie haben häufiger ein geringes Einkommen, und Wohnraum hat für sie generell eine große Bedeutung, weil sie immer noch hauptzuständig für die Care-Arbeit in der Familie sind. Die Vereinsamung von Alleinerzieherinnen (mit Kindern) in anonymen Kleinwohnungen in Städten wäre ein dringendes Thema – es macht so viele Probleme sichtbar, von mangelnder Fürsorge füreinander bis zur fehlenden Kindergrundsicherung. Und all das führt zu der Frage: Wie soll eine Familie wohnen dürfen, wie sollen unsere Kinder aufwachsen?
Weil ich weiß, wie stickig es unter der Decke wird, ist es heute eine meiner Prioritäten, meiner Tochter ein sicheres und gemütliches Zuhause zu schaffen. Sie schläft in einem warmen Bett, darüber hängt ein bunter Baldachin, weil sie sich darunter noch geborgener fühlt. Doch es ist mir bewusst, dass ich in einer privilegierten Position bin: Ich kann meinem Kind heute eine Wohnung zum Wohlfühlen bieten. Die Angst vor dem Einschlafen endet in dieser Familie mit mir. Jede*r wünscht sich für eigene Kind ein gutes Zuhause und jeder Mensch verdient eine Wohnung, in die er*sie gerne nach Hause kommt, die sicher ist, in der es sich gut lebt. Für feministische Sozialpolitik muss das eine Priorität sein.