Ein Kommentar von LEA SUSEMICHEL
„Gibt es den in echt?“, fragt mein fünfjähriger Sohn, als er die als Herrscherporträts inszenierten Bilder von Donald Trump in seinem golden geschmacklosen Protzappartement sieht. Ist diese grelle Überzeichnung des tumben Großkotzkapitalisten wirklich real, der unter „realDonaldTrump“ lügend gegen Fakenews wettert, während er Stephen Bannon, den demagogischen König der wahren Lügenpresse, zu seinem Chefstrategen macht? Es ist wohl tatsächlich die Frage der Stunde. Und es lohnt sicher, die schillernde Höllenerscheinung dieses „real Fake“-Phänomens genauer zu analysieren.
Das dringlichere Gebot der Stunde jedoch ist zweifellos, sich in aller Drastik klarzumachen: Ja, das unvorstellbar Schlimme passiert gerade, das alles ist echt. Und es ist ernst. Weshalb wir hier und jetzt etwas dagegen tun müssen und die Analyse der Schuldfrage, die derzeit in linken Medien betrieben wird, als gäbe es die Welt da draußen nicht, vielleicht ein bisschen hintanstellen sollten.
Natürlich ist es wichtig, die rassistische Kollaboration weißer Frauen zu kritisieren, die zu 53 Prozent Trump gewählt haben, obwohl er auch ihnen an die Pussy will (mit seiner Anti-Abtreibungs-Politik wird er das buchstäblich tun). Aber momentan ist es angeraten, sich mit den verbleibenden 47 Prozent zusammenzutun, um dann gemeinsam auch den Rest der Welt zu überzeugen, dass diese trumpsche Horrortruppe aus Freaks & Family unter allen Umständen verhindert werden muss.
Selbstverständlich muss man sich dem Klassismus eines elitären und privilegierten Intellektualismus widmen, der die Sorgen der weißen WutwählerInnen, von denen jetzt so viel die Rede ist, ignoriert. Aber muss man deshalb auch Verständnis für deren Rassimus und Sexismus aufbringen? Diesem gemeinsam entgegenzutreten, ist ganz sicher die bessere Idee.
Zu behaupten, linke Identitätspolitik mit ihren Sternchenschreibweisen und Transgender-Klo-Diskussionen sei Schuld an diesem Desaster, ist eine rechte Anti-Political-Correctness-Strategie. Identitätspolitik ist nicht die Ursache des Problems, sie war im Gegenteil oft Teil der Lösung. Die großen Emanzipationsbewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts, die Frauenbewegungen und die Black-Power-Bewegung, verdanken ihre Stärke einer erfolgreichen identitätspolitischen Mobilisierung. Allerdings wurde dabei im Dienste der gemeinsamen Sache auch geflissentlich über den Sexismus Schwarzer Macker oder den Rassimus und Klassismus weißer Feministinnen hinweggesehen, und das Leugnen von Hierarchien hat dieser Sache auf lange Sicht sicher sehr geschadet. Wir müssen es unbedingt besser machen – aber aufgeben dürfen wir diese gemeinsamen Ziele nicht.
So strategisch sinnvoll Minderheitenpolitik also immer wieder war und ist: Wenn der gewählte US-Präsident über atomare Aufrüstung twittert, sollten linke Feministinnen an amerikanischen Unis lieber über Widerstands- und Mobilisierungsformen diskutieren, statt über die kulturelle Aneignung von vietnamesischen Brötchen in der Mensa zu streiten. Überall auf der Welt sollten wir jetzt unbedingt sofort darüber nachdenken, was wir gegen die drohende ökologische Katastrophe tun können, die unausweichlich wird, wenn in den USA Klimaleugner an der Macht sind. Darüber, wie es passieren konnte, dass die acht reichsten Männer der Welt gemeinsam mehr Vermögen besitzen als die Hälfte der Weltbevölkerung. Darüber, was sich Erdogans Staatsumbau oder Putins und Orbáns Autokratien entgegensetzen lässt und wie sich Protestbewegungen dagegen global solidarisieren können. Denn das müssen sie jetzt auf der Stelle tun, genau wie gegen die AfD und die FPÖ und all die anderen bedrohlich erfolgreichen RechtspopulistInnen, die plötzlich unverhohlen nicht nur ihre antifeministische und rassistische, sondern auch ihre neoliberale Fratze zeigen. Sie sind auch in Europa drauf und dran, nicht nur grundlegende soziale Werte, sondern auch soziale Standards zu zerschlagen.
Die weltweite Solidarität und der ergreifende Erfolg des Women’s March on Washington haben eine Wut und eine Entschlossenheit gezeigt, die nicht nur sehr ermutigend ist, sondern geradezu euphorisch stimmt. Diese Aufbruchseuphorie muss nun Aktivismus werden. Rise! Resist! Go, Ladies, GO!