Ein Kommentar von BRIGITTE THEIßL
Im US-amerikanischen Steubenville wurde am 17. März das Urteil in einem weltweit bekannt gewordenen Vergewaltigungsfall gesprochen. Zwei junge Männer hatten eine 16-jährige Schülerin mehrfach vergewaltigt, die Taten dokumentiert und Bilder davon im Netz verbreitet. In einem Video verhöhnten sie ihr Opfer und machten Witze darüber, dass die betrunkene und bewusstlose Schülerin wie tot gewirkt habe. Mehrere ihrer Kollegen hatten tatenlos dabei zugesehen und sich ebenfalls auf Twitter und anderen Social-Media-Kanälen über die Gewalttat lustig gemacht.
Als CNN am Tag der Urteilsverkündigung über den Fall berichtete, führten die Journalist_innen dem Fernsehpublikum unbeabsichtigt vor Augen, wofür der Terminus „rape culture“ steht. Korrespondentin Poppy Harlow, die am Prozess teilgenommen hatte, sprach von einem „sehr emotionalen“ Ereignis und drückte ihr Mitgefühl für die beiden Verurteilten aus, die als „Star-Footballspieler“ und „sehr guter Schüler“ in eine „vielversprechende Zukunft“ hätten blicken können. Anschließend zeigte der Nachrichtensender Aufnahmen aus dem Gerichtssaal, in denen sich die Täter entschuldigten, einer der beiden brach dabei in Tränen aus. Nachrichtensprecherin Candy Crowley befragte den Rechtsexperten Paul Callan zu den Auswirkungen auf das Leben der minderjährigen Täter, deren Leben „zerstört“ worden seien – das Opfer wurde nur nebenbei erwähnt.
Angesichts einer „Vergewaltigungskultur“, in der sexualisierte Gewalt verharmlost wird und oftmals eine Täter-Opfer-Umkehr passiert, mag diese Art der Berichterstattung wenig verwundern. Aber darf so etwas bei einem Qualitätsmedium passieren? Die Antwort muss ganz klar „Nein“ lauten. Reporter_innen, die bei dem Nachrichtensender arbeiten, haben zumeist ein Studium an einer Elite-Universität absolviert und viele Jahre in verschiedenen Redaktionen gearbeitet. So, wie das korrekte Zitieren von Quellen oder eine klare und verständliche Sprache zum Handwerkszeug von Journalist_innen gehört, müsste auch ein sensibler Umgang mit Gewaltopfern und Basiswissen über gesellschaftliche Machtstrukturen Teil jeder journalistischen Ausbildung sein. Dass (Mainstream-)Medien ihre Verantwortung, die ihnen im Diskurs über sexualisierte Gewalt zukommt, nicht ernst nehmen, ist also schlichtweg skandalös.
Seit Jahrzehnten thematisieren feministische Aktivistinnen bzw. feministische Medien Gewaltverhältnisse und weisen medienwissenschaftliche Studien auf problematische Berichterstattung hin – in den Chefredaktionen der großen Medienhäuser sieht man trotz „Aufschrei“ (die an.schläge berichteten) und anderen Aktionen offensichtlich auch hierzulande keinen Handlungsbedarf. Noch immer ist vom „Familiendrama“ die Rede, wenn ein Mann Frau und Kinder ermordet, noch immer werden „Einzelfälle“ ausgeschlachtet, statt den Zusammenhang zu sehen, noch immer werden Gewaltverbrechen mit der Herkunft der Täter_innen erklärt. Allen voran sind es Boulevard-Blätter, die selbst bei Sexualdelikten nach dem Unterhaltungswert suchen, aber auch sogenannte Qualitätsmedien stehen in puncto Berichterstattung über sexualisierte Gewalt nicht immer für Professionalität. „Wie Österreichs Justiz sexuelle Übergriffe im Gefängnis vertuscht“, titelte die Wiener Wochenzeitung „Falter“ unlängst und berichtete detailreich über pornografische E-Mails und Po-Grabschen in einer Wiener Justizanstalt. Der Artikel liest sich wie ein Krimi, Interessierte können die Akten, die dem Falter zugespielt wurden, online einsehen und mehr über angebotene Swingerclub-Besuche und Brustwarzenpiercings erfahren. Natürlich ist es positiv, wenn hier vertuschte Übergriffe aufgedeckt werden und damit letztendlich auch Druck auf die Justiz ausgeübt wird. Ob bei den Leser_innen aber nicht der Eindruck eines außergewöhnlichen Falls krimineller Machenschaften (und nicht jener eines strukturellen Problems) zurückbleibt, und ob es wirklich dem öffentlichen Interesse dient, übergriffige E-Mails zu veröffentlichen, ist eine andere Frage.
Mein Journalismus-Studium schloss ich 2007 ab, ohne auch nur in einer einzigen praxisnahen Lehrveranstaltung irgendetwas über sensible Berichterstattung über Opfer sexualisierter Gewalt oder über geschlechtergerechte Sprache gehört zu haben. Offenbar dürfte sich daran nicht viel geändert haben.
1 Kommentar zu „an.sage: Nichts gelernt“
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