Regieren und blamieren in Österreich. Von BRIGITTE THEIßL
Rund zwei Monate ist es her, dass Österreich eine neue Regierung bekommen hat. Zum dritten Mal in Folge haben SPÖ und ÖVP die Ressortverteilung unter sich ausgemacht und sich auf ein recht vage formuliertes Regierungsprogramm geeinigt. Keine großen Sprünge, keine großen Überraschungen. Allein Sebastian Kurz, mit 27 jüngster Minister der österreichischen Geschichte, war selbst für die internationale Presse interessant. Dass der ehemalige Integrationsstaatssekretär weder mit rassistischen noch mit besonders ungeschickten Statements auffiel, macht ihn zur Nachwuchshoffnung der Volkspartei, die das Wissenschaftsministerium einem neu installierten Familienministerium unter der Führung von Meinungsforscherin Sophie Karmasin opferte. „Er möchte ein Familien- und Jugendressort machen, das ist ihm wichtig, und deswegen muss er das Wissenschaftsministerium aufgeben“, habe ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger dem scheidenden Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle erklärt, wie dieser im Interview mit dem „Standard“ erzählte. Österreichischer Pragmatismus eben.
Was aus dem Frauenministerium – also der Frauensektion im Bundeskanzleramt – werden sollte, dafür schienen sich die Regierungsparteien ebenso wenig zu interessieren wie heimische Medien. In Zeiten der Krise gebe es eben wichtigere Fragen zu erörtern – etwa die geplante Schaumweinsteuer (eine Flasche Sekt könnte um neunzig Cent teurer werden!) oder die mögliche Erhöhung der Normverbrauchsabgabe für Neuwagen. Wirtschaftspolitik, das sind Budgetkonsolidierung, Ermessensausgaben, Einsparungen in Millionenhöhe und Arbeitslosenquoten. Dementsprechend sind die Befürchtungen der Schaumweinerzeuger_innen von größerer (medialer) Relevanz als Fragen nach dem guten Leben. Auch LGBT-Rechte kommen in den Plänen der Regierung bisher nicht vor.
Eine Frauenministerin ist aber nach wie vor Teil der Regierung; Gabriele Heinisch-Hosek, nun Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur, nimmt die Frauenagenden mit in ihr neues Ressort. Eine Enttäuschung für den Österreichischen Frauenring (die Dachorganisation österreichischer Frauenvereine) und Aktivist_innen rund um die ehemalige Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger, die ein eigenständiges, finanziell gut ausgestattetes Frauenministerium forderten. „Für ein starkes Frauen- und Bildungsressort. Das unterstütze ich!“, antworteten die SPÖ-Frauen auf ihrer Website. Wie das im Detail aussehen soll, darüber ist noch wenig bekannt – auf die Parteien wartet immerhin bereits der nächste Wahlkampf. Zwischen 22. und 25. Mai wird das Europaparlament gewählt. Dass die Wahl bereits jetzt heftig diskutiert wird, ist dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Eugen Freund zu verdanken, der in einem „Profil“-Interview das durchschnittliche Einkommen eines „österreichischen Arbeiters“ auf 3.000 Euro brutto schätzte (es ist rund ein Drittel weniger) und „irgendwann in den 1980er-Jahren“ bei einem Mai-Aufmarsch der SPÖ dabei war. Eine mögliche Spitzenkandidatin hätte stattdessen auch die Listenzweite Evelyn Regner sein können, Europaparlamentsabgeordnete und erprobte Gewerkschafterin – es wäre das erste Mal gewesen, dass die Sozialdemokrat_innen bei einer bundesweiten Wahl eine Frau an die Spitze gestellt hätten.
Vermutlich wurde aber mit dem Nachrichtenwert kalkuliert: Nicht zuletzt das Beispiel Frank Stronach machte schmerzhaft deutlich, wie man in Österreich von „Kronen Zeitung“ über ORF bis „Standard“ für innenpolitische Schlagzeilen sorgt. Im Wahlkampf werde ohnehin das Thema pro und contra Europäische Union dominieren, meinen Journalist_innen und schielen auf die FPÖ-Kandidaten Harald Vilimsky und Andreas Mölzer. Letzterer wähnte zuletzt in einer Aussendung die EU als „Teil der internationalen Homo-Lobby“. Sein vom BZÖ verstoßener ehemaliger Parteifreund Ewald Stadler hat gemeinsam mit dem Chef der Christen-Partei die „Reformkonservativen“ gegründet, um für Familie, Vaterland und „Lebensschutz“ zu kämpfen. In anderen europäischen Staaten kämpfen indes feministische Parteien um den Einzug ins Europaparlament. Da bleibt nur eins: Raus aus der Provinz.