Ein Kommentar von VINA YUN
Titten gegen Rassismus (TgR) – das ist nicht etwa der neueste Slogan von Femen, sondern eine Aktion aus dem Jahr 2000, bei der sich zehn (weiße) Frauen mit nacktem Oberkörper ablichten ließen, um gegen die, wie sie damals meinten, „Absurdität von Rassismus“ zu protestieren. Das Fotografinnen-Duo Katsey, das diese „zielgerichtete Provokation“ initiierte, verteilte damals 400.000 gratis Postkarten österreichweit. In der darauf folgenden hitzigen Debatte wurden Fragen aufgeworfen, die heute, mehr als ein Jahrzehnt später, im Zuge der Nacktproteste von Femen wieder aktuell geworden sind: Fragen zum Verhältnis von Weißsein und der „Betroffenheit“ von Rassismus, zur Selbstbestimmung und Aneignung von Bildern (auch bei TgR richtete sich die Kamera auf junge, schlanke, hübsche Frauenkörper), zur (Un-)Möglichkeit, die Dominanz des männlichen Blicks auf den weiblichen Körper zu brechen oder zur feministischen Tradition, den eigenen Körper zum Mittel des Widerstands zu machen – ist doch die politische Inszenierung weiblicher Nacktheit weitaus älter als Femen, Titten gegen Rassismus, Breasts not Bombs und viele andere Initiativen.
„Weibliche Nacktheit, frei vom patriarchalen System, ist der Totengräber dieses Systems, als ein militantes Manifest und ein sakrales Symbol zur Befreiung der Frauen“, verkündet Femen Germany mit flammenden Worten in ihrem Manifest. Dass es kein universelles Verständnis von „Nacktheit“ gibt, sondern diese immer auch in spezifische historische und politische Zusammenhänge eingebettet ist, darauf haben bereits einige Kritiker_innen hingewiesen (wie etwa Maryam Kazeem, die in ihrem lesenswerten Kommentar auf „okayafrica.com“ „The African History of Naked Protest, Femen Aside“ in Erinnerung rief). Dass der femen-istische Universalismus andere Feminismen ignoriert und zudem rassistische Ressentiments bedient (siehe zum Beispiel den „International Topless Jihad Day“), sorgt wiederholt für heftige Kritik. Denn laut Femen würden vor allem (verschleierte) muslimische Frauen ihre Unterdrückung nicht erkennen und nicht wissen, was für sie gut und richtig ist. Schließlich hätten auch in der ganzen Geschichte der Menschheit SklavInnen bestritten, solche zu sein, wie Femen-Mitbegründerin Inna Schewtschenko einmal zu Protokoll gab. So wird die Selbstbestimmung der anderen zum Erziehungsauftrag, zur Mission.
Femen, in der Ukraine entstanden und mittlerweile mit internationalen Niederlassungen, hätte wohl kein derartiger Exportschlager werden können, würden sie nicht sich an die Spitze einer Hierarchie reklamieren, die zwischen „dummen, unbefreiten“ und „aufgeklärten, freien“ Frauen unterscheidet. Eine ähnliche Geisteshaltung dürften auch prominente Femen-Fürsprecherinnen wie CocoRosie teilen, die sich in einem aktuellen „Missy Magazine“-Interview genervt zeigen von postkolonialer Kritik und „dekonstruierter Sprache“ und sich nach der Rückkehr eines „universellen Feminismus“ sehnen – Jahrzehnte innerfeministischer Auseinandersetzungen mit Differenzen und Machtunterschieden unter Frauen, wie sie vor allem von Women of Color eingefordert wurden, eben mal ad acta gelegt.
Für manche mögen Femen mit ihren „trojanischen Brüsten“ dennoch befreiend wirken. Viele reagierten positiv auf die Störaktion Ende Mai, als zwei Femen-Aktivistinnen die Finalshow von „Germany’s Next Top Model“ stürmten und skandierten: „Heidi, wir haben kein Foto für dich!“ Den Unterschied zwischen den spärlich bekleideten Models auf der Bühne und den halbnackten, allen Schönheitsnormen entsprechenden Protestlerinnen erklärte eine der beiden Femen-Frauen in einem „Spiegel“-Interview so: „Wir versuchen, ein Bild der Frau zu zeigen, das eben nicht sexualisiert ist (…). Die Models versuchen, sich sexy zu zeigen, sich zu verkaufen. Wir zeigen uns autonom und haben eine Message.“
Die Schönheits- und Modeindustrie als klassisches feministisches Interventionsfeld – einverstanden. Die systemimmanente Logik zu leugnen, die Femen überhaupt erst ins mediale Rampenlicht katapultiert hat und ihre Stimme hörbar werden lässt, zeugt hingegen von einem ziemlich großen blinden Fleck.
1 Kommentar zu „an.sage: Mission: Selbstbestimmung“
Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Racial Profiling, Pride-Parade und zimbabwische Frauenbewegung – kurz verlinkt