Ein Kommentar von BRIGITTE THEIßL
„Frausein ist kein Programm“ zählt zum Standard-Repertoire der feministischen Weisheiten. Hin und wieder kommt aber auch eine Feministin ums bloße Köpfezählen nicht herum. So etwa bei der österreichischen Steuerreform, die in den vergangenen Wochen und Monaten verhandelt und nun von der Großen Koalition Mitte März auf den Tisch gelegt wurde. Die Diversität in den Verhandlungsteams von ÖVP und SPÖ reichte von mittelalten weißen Männern bis zu alten weißen Männern – die üblichen Akteure an den Schalthebeln der Macht eben. Es überrascht deshalb wenig, dass die Reform eine „Lohnentlastung von Männern für Männer“ wurde, wie Alexandra Strickner und Elisabeth Klatzer von (Feminist) Attac die präsentierten Ergebnisse zusammenfassen. Laut vorläufigen Berechnungen werden Männer nämlich doppelt so hoch entlastet wie Frauen. Der Grund: Mittlere und hohe Einkommen profitieren stärker von der Senkung des Eingangssteuersatzes in Kombination mit einer neuen Staffelung der Steuersätze, Frauen sind in diesem Einkommenssegment allerdings unterproportional vertreten. Damit sind sie auch diejenigen, die eine Anhebung von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer stärker belastet. „Das Verhandlungsteam ist mit sich zufrieden, die Männerrunde wird sich noch einige Tage gegenseitig auf die Schultern klopfen und die Ausgewogenheit des Verhandlungsergebnisses loben“, schreiben Sonja Ablinger und Judith Schwentner auf der neu gegründeten linken Plattform „Mosaik“.
Im Vorfeld der Reformverhandlungen hatten vor allem zwei Interessensvertretungen intensiv kampagnisiert: Der Gewerkschaftsbund forderte „Lohnsteuer runter!“ und sammelte über 800.000 Unterschriften, die Industriellenvereinigung machte Stimmung gegen Vermögenssteuern und legte betroffen dreinschauenden EigenheimbesitzerInnen den Satz „Sie sagen Millionäre und meinen uns“ in den Mund. Die Debatten der Interessensgruppen – in der Diskussionssendung „Im Zentrum“, wo geschlechtsspezifische Effekte kein Thema waren, diskutierten sie zum Beispiel über die Gewinner der Reform – zeigen deutlich, an welche Menschen eigentlich gedacht wird. Der gönnerhafte Großindustrielle, der Arbeitsplätze schafft und mit seinen Stiftungsmillionen die heimische Kunst fördert, sitzt dem vollzeitbeschäftigten Facharbeiter gegenüber. Wenig verwunderlich also, dass die prekäre Einpersonenunternehmerin, die Teilzeit-Reinigungskraft und die Hausangestellte in den Diskussionen nicht auftauchen. Ihnen fehlt die finanzstarke Lobby, um für etwas zu kämpfen, das eigentlich in der österreichischen Verfassung festgeschrieben ist: eine Budgetpolitik, die die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern fördert. Konzepte dazu haben nationale und internationale ExpertInnen längst erarbeitet, doch aus der Schublade holen und sie vor allem in die Tat umsetzen, das wollen politische AkteurInnen nicht. Die Gegenfinanzierung der Steuerreform, die auf Erbschafts- und Vermögenssteuern verzichtet, ist vage und unsicher, ExpertInnen befürchten daher drohende Kürzungen in Bildung, Gesundheit und Pflege. Die geschätzte Wertschöpfung der – meist von Frauen – ausgeübten unbezahlten Tätigkeiten in diesen Bereichen beträgt übrigens etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr. Die wachsende Ungleichheit in Österreich lässt sich selbstverständlich nicht nur auf den Faktor Geschlecht reduzieren. Der „Mittelstand“, der vor Vermögenssteuern beschützt werden soll, schrumpft beständig. Die reichsten fünf Prozent der Haushalte verfügen über 45 Prozent des Vermögens, die ärmsten fünfzig Prozent teilen sich lediglich vier Prozent. Doch die Regierung feiert ihr Reformpaket als die „größte Steuerreform in der Geschichte der Zweiten Republik“.