Ein Kommentar von FIONA SARA SCHMIDT
„Es ist ein Tagebuch des Schreckens. 36 Vorfälle hat die 45-jährige Architektin allein in den acht Wochen zwischen Mitte August und Anfang September vergangenen Jahres minutengenau dokumentiert“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Nun wurde sie in München erstochen. Der mutmaßliche Mörder ist ein ehemaliger Kollege, mit dem sie vor Jahren eine Beziehung hatte. Sechs Jahre lang stellt er ihr nach, sie zieht mehrfach um, wechselt die Nummer, es gibt ein gerichtliches Kontakt- und Näherungsverbot. Zwei Tage vor dem Gerichtstermin, bei dem das Nachstellen und Bedrohen verhandelt werden sollte, ist sie tot. „Nicht das Opfer soll sein Verhalten ändern müssen, sondern der Täter“, sagte Justizminister Heiko Maas, als er kürzlich eine Gesetzesänderung des sogenannten Stalking-Paragrafen ankündigte.
2014 tötete ein 22-jähriger Student an einer Universität in Kalifornien sechs Menschen. Vorab hatte er einen „Krieg gegen die Frauen“ angekündigt: „Wenn ich euch Mädchen nicht haben kann, werde ich euch vernichten.“ Der Mann, der 2015 mit dem Auto durch die Grazer Innenstadt raste und drei Menschen tötete, war wegen Gewalt gegen seine Partnerin polizeibekannt, sie lebte im Frauenhaus. Auch der Attentäter von Nizza wurde mehrfach von seiner Frau angezeigt.
Häufig sind es junge Männer, die morden, und häufig haben ihre Motive mit massiven narzisstischen Kränkungen zu tun. Machtdemonstration mittels Waffengewalt soll ihre Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Der Sozialwissenschaftler und Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer sagte im Interview mit dem „Kurier“: „Das hat wohl auch damit zu tun, dass Männer unter herrschenden Bedingungen vermittelt bekommen, dass sie Anspruch haben. Auf Macht. Auf Frauen. Auf Erfolg. Auf Kontrolle. Viele Männer profitieren tagtäglich von diesen Versprechen und beziehen daraus auch Handlungssicherheit als Mann. Wenn es im realen Leben aber nicht gelingt, diese Ansprüche einzulösen, kann dadurch ebendiese Sicherheit infrage gestellt werden.“ Ob es sich um Gewalt gegen die eigene Partnerin, Selbstmordattentate, sogenannte School Shootings oder Amokläufe handelt: Viele Täter sind schon lange vorher als aggressiv aufgefallen, waren in therapeutischer Behandlung und nahmen teilweise Medikamente, sie waren einsam, schlecht integriert und hingen offen neonazistischen oder islamistischen Ideologien an.
Gewalt gegen Frauen und Kinder, Terrorismus und Amok weisen Überschneidungen auf, zusätzlich dazu, dass die Täter in der Regel männlich sind. Es geht um Machtdemonstration und Rache gegen jene Gruppe von Personen, die für das eigene Scheitern verantwortlich gemacht wird. „Die von Amok und Terror heimgesuchten Gesellschaften haben sich inzwischen darauf geeinigt, die Täter in zwei Kategorien einzuteilen: den ‚religiös motivierten Terroristen‘ und den ‚psychisch gestörten Einzeltäter‘“, schreibt der Sozialwissenschaftler Götz Eisenberg in der „Jungen Welt“. Diese Etikettierung habe den unschätzbaren Vorteil, dass die herrschenden gesellschaftlichen Zustände nicht mit diesen Taten in Zusammenhang gebracht werden. Die unbegreifliche Tat wird individualisiert oder der Täter als krank pathologisiert und damit außerhalb des gesellschaftlichen Systems verhandelt. Wie der Männlichkeitsforscher Scheibelhofer glaubt auch Eisenberg, dass die Grenzen von Amok und politisch motiviertem Terror in Zukunft verschwimmen. Die IS-Ideologie diene manchen dazu, die eigene Tat zu legitimieren und den eigenen unbestimmten Hass in einen größeren Zusammenhang einzubetten.
Präventionsangebote wie das Berliner Leaking-Projekt der Freien Universität, das eine Schulstudie zu Tatfantasien durchführt, die „durchsickern“, können ein Anfang sein, denn Amokläufe geschehen meist angekündigt. Und auch viele Morde wie zuletzt in München haben eine Vorgeschichte. Etwa dreißig Frauen werden jährlich in Österreich vom (Ex-)Partner ermordet. In Deutschland sind die Hälfte der Mörder von Frauen deren Lebenspartner. Die Morde sind Hassverbrechen, es ist immer noch viel zu oft die Rede von „Erweitertem Suizid“ oder einer „Familientragödie“. Wir brauchen eine Kultur der Prävention – mit mehr Geld für Beratungsstellen und Frauenhäuser.
1 Kommentar zu „an.sage: Macht und Ohnmacht“
Möchte hier auf den wunderbaren Blog htt://kriegsursachen.blogspot.com hinweisen, in dem die Biographien von Gewalttätern genauer untersucht werden: fast ausnahmslos sind hier Verletzungen und Vernachlässigung in der Kindheit zu finden. Das entschuldigt natürlich gar nichts, dürfte aber der wesentliche Grund für Männergewalt sein. Der Konnex zum Islam ist gegeben, wenn man erfährt, wieviele Kinder in muslimisch dominierten Ländern geschlagen werden (Bericht “Hidden in plain sight” der UNICEF).
Karin Pacult