Ein Kommentar von LEONIE KAPFER
Einen „Sargnagel des Feminismus“ nannte der Geschlechterforscher Vojin Saša Vukadinović die Gender Studies. Geschlechterforschung sei, so Vukadinović in der Juli/August-Ausgabe der Zeitschrift „Emma“, an den Fragestellungen der Frauenemanzipation desinteressiert. Stattdessen würden die Gender Studies willkürlich „Sprechverbote“ erteilen. Das „Emma“-Pamphlet schließt an die heftige Kontroverse um den im Frühjahr erschienenen Sammelband „Beißreflexe“ von Patsy l‘Amour LaLove an, in dem Vukadinović Text ebenfalls erschienen war. Das Buch klagt autoritäre Tendenzen in der feministischen Szene an und dient nun Alice Schwarzer als neue Munition für ihre Kritik an der queerfeministischen Szene, was derzeit zu heftigen innerfeministischen Auseinandersetzungen führt. Doch leider finden diese bisweilen wenig sachlich statt. Zunächst stellt sich bezüglich der pauschalen Kritik an den Gender Studies die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, die Gender Studies als monolithisches Gebilde zu betrachten. Gibt es wirklich die Gender Studies? Zum anderem muss gefragt werden, inwieweit es sinnvoll ist, die Geschlechterforschung auf ihren Beitrag zum politischen Feminismus einschränken zu wollen. In einer Antwort auf Vukadinovićs Artikel im „Missy Magazine“ zweifelt auch die Soziologin und Gender-Wissenschaftlerin Paula-Irene Villa, ob es der wissenschaftlichen Erkenntnis dienlich sein kann, wenn die Geschlechterforschung als „akademischer Arm eines politischen Emanzipationsprojektes“ betrachtet wird. Was vor allem einige KritikerInnen der Gender Studies nicht wahrhaben wollen, ist die Tatsache, dass die Genderforschung nicht immer zwingend ein realpolitisches Programm hat. Natürlich geschieht Forschung nie in einem Vakuum, gesellschaftspolitische Strömungen und persönliche Positionierungen sind für nahezu alle Geistes- und Sozialwissenschaften von großer Relevanz. Und natürlich geben sich politischer Feminismus und Geschlechterforschung wechselseitig wichtige Impulse. Das ist gut so.
Das heißt aber nicht, dass Wissenschaft im Dienste politischer Forderungen handeln darf. In ihrer Antwort in der „Zeit“ fragen sich Judith Butler und Sabine Hark daher zu Recht, ob nicht eine „Form von Trumpism“ in die Debatte um die Gender Studies Einzug gehalten hat. Wissenschaft wird instrumentalisiert, Fakten nur anerkannt, wenn sie zum eigenen Weltbild passen. Ob dabei die eigene Meinung reduzierend oder uninformiert ist und im schlimmsten Fall Schaden anrichten kann, ist dem grassierenden Anti-Intellektualismus egal. Einfache Antworten sollen Komplexität ersetzen und es wird ignoriert, dass Wissenschaft kompliziert und mitunter ambivalent ist. In der Politik ist dieses Phänomen schon seit Längerem zu beobachten, die Wissenschaft versucht meist noch dagegenzuhalten. Dabei ist Wissenschaft natürlich nicht frei von Fehlern. Irrwege gehören zum wissenschaftlichen Denken, sie sind teilweise sogar produktiv und treten konstruktive Diskurse los. Im Fall des „Emma“-Artikels trifft dies jedoch nicht zu, vielmehr trägt er zu einer Verunglimpfung einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin bei. Wenn Vukadinović schreibt, dass ein Studium der Gender Studies Menschen „dümmer“ mache, kann man sich fragen, ob dümmer denn komplizierter, eckiger und unangenehmer impliziert. Denn das ist es, was wir an den Gender Studies schätzen: das ungemütliche Hinterfragen von Normativem.