Ein Kommentar von VINA YUN
Seit im April dieses Jahres der erste Slutwalk in Toronto initiiert wurde, sind die „Schlampenmärsche“ zu einem globalen Phänomen herangewachsen: Von Berlin bis Neu Delhi versammeln sich Feminist_innen auf der Straße, um „gegen Sexismus, sexualisierte Gewalt, Vergewaltigungsmythen und -verharmlosungen“ zu protestieren, wie es etwa in den Demo-Aufrufen aus Deutschland heißt. Wir erinnern uns: Auslöser für den Slutwalk in Toronto war der „Ratschlag“ eines Sprechers der kanadischen Polizei, sich „nicht wie Schlampen anzuziehen, um nicht Opfer sexueller Gewalt zu werden“. Für die wohlbekannte Strategie, die Betroffenen selbst für die Übergriffe verantwortlich zu machen, gibt es im Englischen eine eigene Bezeichnung: Victim Blaming. Ganz oben auf der Liste der „Selber Schuld“-Mythen: „aufreizende“ Kleidung. In „provokanter“ Aufmachung erscheinen daher auch zahlreiche Demonstrant_innen zu den Schlampendemos – was die deutschen Slutwalk-Orga- nisator_innen wiederholt dazu veranlasst, den „performativen“ Charakter einer solchen Selbstdarstellung zu betonen. Noch schwieriger stellt sich die (teils selbst forcierte) mediale Inszenierung als neue feministische Protestkultur dar: Da wird etwa deren dezentrale Organisationsform bestaunt, und einige genieren sich nicht, die junge feministische Generation einmal mehr in Opposition zur angeblich männerhassenden und verschnarchten Frauenbewegung der Mütter zu stellen. Was die (un-)mögliche Aneignung des Begriffs „Slut“ angeht, beziehen sich viele Aktivist_innen im deutschsprachigen Raum auf die Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre. Doch die Strategie dieses Reclaimings ist noch älter – lange vor den Riot Grrrls rappte etwa Roxanne Shanté 1984: „I am one bad bitch.“ Anfang der 1990er gingen afroamerikanische female Rap-Crews wie Bitches with Problems oder Hoes with Attitude in die Offensive und präsentierten sich selbst als „Superschlampen“ – eine Hardcore-Tradition, wie sie später von Lil’ Kim, Foxy Brown und anderen fortgeführt wurde. Von „Performativität“ war/ist hier allerdings nie die Rede, lieber wurde ihre Hypersexualisierung essenzialisiert. „Schlampen“ nannten sich übrigens auch die lesbischen Aktivist_innen der „Schlampagne“, die sich in Deutschland Ende der 1990er als Kritik an der „Homoehe“ bildete und die Vision eines „Schlamputopia“ formulierte, in der Selbstbestimmung nicht nur Sexualität, sondern auch z.B. reproduktive Rechte und Bewegungsfreiheit umfasst. Zwar wird bei den Slutwalks pflichtbewusst auf Differenz- Kategorien wie Klasse und Race hingewiesen – eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Kritik von Women of Color, die der politischen Wirksamkeit des Begriffs „Schlampe“ oder „Hure“ angesichts von rassistisch-kolonialen und klassenspezifischen Implikationen eher skeptisch gegenüberstehen, ist bislang jedoch ausgeblieben. Während weiße Mittelschicht-Frauen mit der ironisch-hedonistischen Affirmation des Schimpfwortes „Slut“ versuchen, gängige Weiblichkeitsbilder zu stören, sind z.B. Schwarze oder Roma-Frauen bereits von vornherein mit der Zuschreibung einer „wilden“, devianten Sexualität konfrontiert. Die Grenzüberschreitung des „Anständigen“ bleibt daher vornehmlich privilegierten (weißen, heterosexuellen) Frauen vorbehalten, die, wie es etwa eine Blog-Autorin des „Crunk Feminist Collective“ formuliert, „nach wie vor damit rechnen können, mit Würde und Respekt behandelt zu werden“. Auch zahlreiche Aktivist_innen aus der Sexarbeiter_innen-Bewegung formulieren Kritik: „In dieser Bewegung spielen konkrete Forderungen für die Rechte von Prostituierten bisher keine Rolle – obwohl doch der Begriff ‚Schlampe‘ seit Jahrhunderten sexuell selbstbestimmte und durch Promiskuität oder Kleidung aus der Rolle fallende Frauen in die Nähe der stigmatisierten Prostituierten rücken soll“, erklärte etwa Juanita Henning vor kurzem in der „Jungle World“. Ob Sluts, Bitches oder Hoes – Subjektpositionen, die sich vornehmlich über eine sexuelle Selbstdefinition in den herrschenden Diskurs einzuschreiben versuchen, sind schon immer zweischneidig gewesen. Denn sie sind nicht entweder hegemonial oder subversiv – sondern beides zugleich. Dass sich einige Mainstream-Medien mit Freude auf die Miniröcke und Dekolletés bei den Slutwalks stürzen, widerspricht demnach nicht unbedingt der Tatsache, dass das Anliegen durchwegs angekommen ist. „Slut“ ist keine universelle Erfahrungskategorie, weil ihr sowohl befreiende als auch repressive Momente innewohnen – für unterschiedliche Personengruppen. An diesem Wider- spruch weiterzuarbeiten, wäre eine Herausforderung für die kommenden – auch in Wien geplanten – Schlampen-Demos.