Ein Kommentar von BETTINA ENZENHOFER
Bei dem homophobsten Gespräch, das ich bisher miterlebt habe, bekam ich neben extrem menschenverachtenden Aussagen auch folgende Geschichte zu hören: Eine Frau am Tisch erinnerte sich, wie sie als 20-Jährige in einem Hotel gejobbt und mit einer Runde Touristinnen viel Spaß gehabt hatte. Schließlich wurde sie von einer Frau gefragt, ob sie mit ihr auf deren Zimmer gehen möchte – und ihr wurde klar, dass diese Touristin nicht heterosexuell war. Entsetzt sagte sie zu mir: „Stell dir vor, ich wäre mit ihr mitgegangen – dann hätte mir das vielleicht noch gefallen!“
Gottseidank hat ihr katholisch-konservatives Herz gesiegt und so lebte sie fortan mit Mann und Kindern. Ein Coming-out blieb ihr erspart, denn eine heteronormative Gesellschaft geht ohnehin davon aus, dass du hetero bist, du musst es nicht extra verkünden. Diese Frau musste sich als Jugendliche nie fragen, wo bloß die anderen sind, die ähnlich wie sie empfinden. Sie muss sich nicht die Frage stellen, warum sie in Kultur, Politik und Gesellschaft nicht repräsentiert ist. Und wenn sie mit ihrem Mann auf der Straße Händchen halten oder ihn in einem Café küssen will, tut sie das einfach. Wäre sie mit der Touristin in dieser Situation gewesen, hätte sie sich vorher vergewissern müssen, dass sie an einem sicheren Ort sind.
Denn diese Vorsicht gehört zum Alltag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Personen: Wie die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) 2013 in einer EU-weiten Studie mit über 93.000 Teilnehmer_innen feststellte, vermeiden es 66 Prozent der befragten LGBTs aus Angst vor Übergriffen, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Diese Angst ist berechtigt: Ein Viertel der LGBTs wurde in den vorangegangenen fünf Jahren attackiert oder bedroht – in der Trans*Gruppe waren es gar 35 Prozent.
Fast die Hälfte (47 Prozent) der Studienteilnehmer_innen gab an, im zurückliegenden Jahr wegen ihrer Homo-, Bi- oder Transsexualität diskriminiert oder belästigt worden zu sein, unter den lesbischen Frauen waren es sogar 55 Prozent. Und insbesondere die Schule ist ein Ort, an dem Homo-, Bi- und Transphobie äußerst verbreitet sind: 91 Prozent der Befragten erinnern sich an negative Bemerkungen oder Mobbing, zwei Drittel verheimlichten während der Schulzeit ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität. Die FRA fordert in ihrem Bericht von den EU-Mitgliedstaaten, Mobbing gegen LGBTs an Schulen zu unterbinden. Informationen zur Vielfalt von Geschlecht und Sexualität müssten Teil des Lehrplans werden, um für mehr Respekt gegenüber LGBTs zu sorgen.
Genau das war in den letzten Monaten in zwei deutschen Bundesländern geplant. Niedersachsen und Baden-Württemberg hatten vor, die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ fächerübergreifend als Lernziel im Unterricht festzuschreiben. Was folgte, waren bundesweite Proteste und Petitionen von Rechtskonservativen, fundamentalistischen Christ_innen oder „besorgten Eltern“, die sogar in Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die Soziologin Elisabeth Tuider gipfelten. Tuider hatte 2008 gemeinsam mit anderen das für Lehrer_innen vorgesehene Handbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ herausgegeben. Dass Schüler_innen von der Vielfalt gelebter Lebenswirklichkeiten erfahren – und möglicherweise auch davon, mit dem eigenen Gefühl in puncto Geschlecht oder Sexualität nicht alleine zu sein, das kommt für die Kritiker_innen nicht infrage.
Doch es ist allerhöchste Zeit, Kinder und Jugendliche auch in der Schule über verschiedenste Geschlechter, Sexualitäten und Identitäten aufzuklären. Gerade LGBTs, die zu Hause Ablehnung erfahren, könnten so zumindest dort Unterstützung erhalten. Nicht zuletzt die hohe Suizidrate unter LGBT-Jugendlichen zeigt die Dringlichkeit: Laut einer 2014 publizierten US-Studie haben etwa 41 Prozent der befragten Trans*Personen einen Suizidversuch hinter sich (s. an.schläge-Schwerpunkt 11/2014), bei den 18- bis 24-jährigen sind es 45 Prozent. Diese Zahl steigt noch, wenn Trans*Personen von Armut oder Obdachlosigkeit betroffen sind, eine Behinderung haben oder People of Color sind.
Ende 2014 hat sich die 17-jährige Leelah Alcorn aus Ohio umgebracht. Auf ihrem Blog veröffentlichte sie einen erschütternden Abschiedsbrief, in dem sie von der Zurückweisung seitens ihrer evangelikalen Eltern erzählt und
berichtet, zu christlichen Therapeut_innen geschickt worden zu sein. Erst mit 14 stieß sie auf den Begriff „Transgender“: „Nach zehn Jahren der Verwirrung verstand ich endlich, wer ich war.“
In Schulen muss Gender zum Thema gemacht werden, je früher, desto besser, fordert Leelah. Und sie schreibt in ihrem Abschiedsbrief weiter: „Fix society. Please.“