Ein Kommentar von GABI HORAK-BÖCK
Der Equal Pay Day am 5. April war ja recht erfolgreich. Politikerinnen lieferten aktuelle Zahlen, Expertinnen erklärten diese. Es gab Medienpräsenz, einen Club 2, Emotionen und Stammtischgespräche. Der bittere Beigeschmack: Auslöser für die aufgeregten Diskussionen war die zweifelhafte Cover-Geschichte eines bisher dem Qualitätssegment zugeordneten Wochenmagazins. Eigentlich toll, dass es die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auf die Titelseite des „Profil“ (Nr. 14/2012) geschafft haben. Das wäre eine große Chance gewesen, dem Thema Raum zu geben, Zahlen zu sammeln und von ExpertInnen interpretieren zu lassen, Hintergründe auszuleuchten und Fragen bezüglich struktureller Diskriminierung zu stellen. Leider verkaufen sich Skandale mit einem Titel wie „Mythos Lohnschere“ samt schöner Frau auf dem Cover besser. Schon klar. Trotzdem hätten die Autoren die Möglichkeit gehabt, in ihrem Beitrag differenzierte Sichtweisen anzubieten. Stattdessen wurde weiter polemisiert: Der für die Berechnung des Equal Pay Day herangezogene Einkommensunterschied von 25 Prozent sei falsch, es seien „maximal“ 12 Prozent. Feministinnen und Politikerinnen würden absichtlich schummeln, um mit ihren Forderungen nach Gerechtigkeit mehr Aufsehen zu erregen. Die Inhalte des „Profil“-Artikels von Gernot Bauer und Robert Treichler, die einseitigen Interpretationen und Recherchefehler wurden von ExpertInnen in den vergangenen Wochen überzeugend zerpflückt. Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, kritisierte in einem offenen Brief die „schlechte Recherche“ und dass die Gleichbehandlungsanwaltschaft nicht einmal kontaktiert wurde: „Das Risiko, Fakten zu erfahren, war wohl zu groß.“ Doch der Gender Pay Gap ist nicht mit einer einzigen, klar definierten Zahl zu beschreiben. Einkommensunterschiede haben viele Gründe, dementsprechend gibt es verschiedene Berechnungen der Lohnschere. Varianten der „bereinigten“ Lohnschere rechnen Teilzeit-Arbeit, Berufsunterbrechungen und Ähnliches heraus, es werden also reine Vollzeitlöhne berücksichtigt. Daraus ergeben sich bis zu 12 Prozent Gehaltsunterschied, die unmittelbar auf die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückzuführen sind. Das ist ein eklatantes Problem und nicht etwa „annähernd gleich viel Lohn“, wie das „Profil“ behauptet. In der Club-2-Diskussionsrunde zum Thema brillierte Ulli Weish, Medienwissenschafterin und Frauenaktivistin, als kompetenter Gegenpart zu „Profil“-Autor Robert Treichler und polterte: „Das ist doch ein alter Hut.“ Die eigentlich wichtige Debatte um strukturelle Diskriminierung sei gekonnt umschifft worden. Am anderen Ende der Berechnungsmöglichkeiten steht eine gänzlich unbereinigte Zahl, bei der das gesamte Brutto-Jahreseinkommen aller Frauen und Männer miteinander verglichen wird. Nach dieser Berechnung verdienen Frauen in Österreich 25 bis 40 Prozent weniger als Männer. Diese Zahl ist ebenso relevant und kein „Mythos“, denn sie erzählt von einer viel zu hohen Teilzeitquote bei Frauen, von unterdurchschnittlichen Löhnen in „Frauenbranchen“, von einem großen Manko bei der Definition „gleichwertiger“ Arbeit, von Geringschätzung der Leistung vieler Frauen, die etwa als Altenpflegerin genauso viel Muskelkraft aufwenden müssen wie Männer im Straßenbau – bei eklatant niedrigerem Gehalt. Und sie ist der Beweis schlechthin für die weiterhin vorherrschende Zuständigkeit von Frauen für Familienarbeit, denn diese unbezahlte Arbeit wird in keiner Berechnung berücksichtigt. All diese Fakten zu negieren, strukturelle Hintergründe auszublenden und stattdessen auf Entsolidarisierung zu setzen – genau das hat zu den heftigen Reaktionen auf einen einzelnen Artikel in einem Wochenmagazin geführt. Jede der verwendeten Zahlen zur Lohnschere hat Berechtigung. Wenn für den Equal Pay Day mit 25 Prozent gearbeitet wird, dann hat das nichts mit Schummeln zu tun. Der Equal Pay Day ist ja letztlich nichts anderes als ein Marketinginstrument, um das Problem Einkommensungerechtigkeit zweimal im Jahr auf die öffentliche Agenda zu katapultieren. Die Vielzahl an Fakten und Erklärungsmustern im Hintergrund aufzuarbeiten – das wäre eigentlich die Aufgabe von Qualitätsjournalismus. Auch wenn sich’s als Covergeschichte vielleicht nicht so gut verkauft.