Männerberater Alexander Haydn unterstützt gewalttätige Männer dabei, mit aggressiven Verhaltensmustern zu brechen. Ein Gespräch über väterliches Schulterklopfen und die Erfolgsquote von Anti-Gewalt-Trainings. Von Brigitte Theißl
an.schläge: Sie sind als Psychotherapeut und Coach sowohl in der Täterarbeit als auch der Männerberatung tätig. Welche Rolle spielt das Thema Wut in Ihrer Arbeit?
Alexander Haydn: Die Wut ist ein zentrales Element in der Arbeit mit Gefährdern und mit Tätern. Ich arbeite ja als forensischer Therapeut in Justizanstalten mit verurteilten Straftätern, aber in der Männerberatung auch ambulant mit Männern, die gewalttätig waren. Und Wut ist als Emotion ganz eng mit Gewalt verbunden. Es gibt durchaus auch Menschen, die Gewalt ausüben, ohne Wut zu empfinden. In der Psychotherapie spricht man von psychopathischen oder antisozialen Menschen, die Gewalt als Instrument benutzen – aber das bleibt die Ausnahme. In der Regel geht das Gefühl Wut einer Gewalthandlung voraus, sie ist der Vorbote für das, was da kommt.
Frauen- und Gewaltschutzorganisationen beklagen seit vielen Jahren fehlende Ressourcen in der Gewaltprävention und im Opferschutz. Seit vergangenem Jahr gibt es nun eine verpflichtende Beratung für Täter, die ein Betretungsverbot bekommen haben.
Ja, diese verpflichtende Beratung umfasst sechs Stunden. Man muss vielleicht zuerst wissen, dass häusliche Gewalt in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt wird. Wenn Gewalttäter ein polizeiliches Betretungsverbot erhalten, müssen sie ihre Schlüssel abgeben und dürfen die gemeinsame Wohnung 14 Tage lang nicht betreten. Im jetzt verpflichtenden Beratungssetting wird den Tätern – es gibt auch Täterinnen – anschließend erklärt, dass es in Österreich verboten ist, seine Partnerin oder Kinder zu schlagen oder eine andere Form der Gewalt auszuüben. Außerdem erfolgt eine Risikoeinschätzung, dafür gibt es Prognoseinstrumente, die künftige Gewalttaten im jeweiligen Kontext voraussehen. Dass sich jahrelang etablierte Muster nicht in sechs Stunden bewältigen lassen, ist allen Beteiligten klar. Das ist in der Männerberatung auch unsere größte Kritik an der 3. Gewaltschutznovelle. Es gibt diese Beratung, aber für Hochrisikotäter folgen keine weiteren verpflichtenden Maßnahmen, etwa ein Anti-Gewalttraining, wie wir es in der Männerberatung Wien anbieten. Immerhin wurden in Österreich 2020 rund 12.000 Betretungsverbote ausgesprochen und wir gehen davon aus, dass – je nach Definition – bis zu einem Drittel davon Hochrisikofälle sind. Hier bräuchte es dringend entsprechende Maßnahmen.
Wo setzen Sie in einem solchen Anti-Gewalttraining an? Wie lässt sich die vielleicht jahrzehntelang eingeübte Verbindung von Wutempfinden und Gewaltausübung wieder trennen?
Wir begleiten die Männer wirklich über einen längeren Zeitraum, im Anti-Gewalttraining sind sie ein Jahr bei uns und besuchen wöchentlich Gruppensitzungen. Wir arbeiten mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen an einem Verlernen der Gewaltmuster. Es ist zum Beispiel ganz wichtig, körperliche Abläufe zu verstehen und auf Frühwarnsignale zu achten. Dass es eben nicht zu dem Punkt kommt, wo es kein Zurück mehr gibt, der Punkt, wo das rationale Denken aussetzt.
Am Ende des Tages kann man davon ausgehen, dass jemand, der wirklich motiviert und reflektiert ist, verstanden hat, wie sein System funktioniert. Und wie er verhindern kann, dass er gewalttätig wird. Natürlich gibt es immer Männer, die trotzdem weiterhin Gewalt ausüben. Aber verschiedene internationale Statistiken belegen, dass Täter ohne ein Anti-Gewalt-Training ein um fünfzig Prozent höheres Risiko dafür haben.
Verspüren die Männer, die in Ihre Trainings kommen, einen Leidensdruck?
Ja, natürlich, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Zu männlicher Gewalttätigkeit gibt es keinen universellen Zugang, das ist immer ein individueller Mix aus biografischen Erlebnissen, intellektuellen Schwächen, insbesondere in der Kommunikation, und Impulsverhalten, das angeboren ist oder auch durch Erlebnisse modelliert wurde.
Und je nachdem gibt es einen sehr hohen Leidensdruck, aber leider erst hinterher. Wir versuchen eben zu vermitteln, wie die Männer frühzeitig aus den Gewaltkreisläufen aussteigen können. Darüber zu sprechen, ist der einfachste Weg – und ein sehr effizienter.
Schwächen in der Kommunikation sind also ein wesentlicher Faktor?
Gerade in Hetero-Paarbeziehungen sind Frauen in der Regel kommunikativ besser aufgestellt. Für Männer war es meist nicht so wichtig, sich über die Sprache ausdrücken. Wenn es dann in einem Beziehungsstreit Sprachlosigkeit gibt, wenn der Mann nicht mehr weiß, was er sagen soll, dann ist das unangenehm, peinlich, schambehaftet. Die Wut mündet dann in Gewalt – nämlich aus der Sprachlosigkeit heraus. Das soll das Verhalten nicht entschuldigen, aber das ist der Mechanismus. Und wenn jemand im Verhaltenstraining versteht, dass das sein Schwachpunkt ist, kann er gezielt daran arbeiten, ein anderes Muster einzuüben. Kommunikation ist überhaupt ein ganz wichtiger Faktor in der Gewaltprävention.
Geschlechterunterschiede zeigen sich sehr früh. Studien belegen, dass sich bei Buben viele Gefühle in Wut übersetzen, etwa Scham oder Schmerz, während Mädchen viel eher differenzieren.
Absolut. Nehmen wir ein klassisches Beispiel her: Sie sitzen in einer Sandkiste in einem Wiener Park. Ein Bursche spielt mit einem Bagger, ein anderes Kind kommt daher und nimmt ihm den Bagger weg. Der Bursche reißt ihn wieder an sich und bekommt dafür ein Schulterklopfen von seinem Vater: Gut gemacht, lass dir nur nichts gefallen! Selber Park, ein junges Mädchen sitzt auf der Schaukel, ein anderes Mädchen schubst sie runter. Das Mädchen läuft weinend zur Mutter zurück, diese tröstet das Kind und sagt: Schau, da drüben beim Klettergerüst können wir auch spielen. Das sind stereotype Muster, wie Burschen und Mädchen in ihrer Sozialisation geprägt werden. Bei Buben sind es aggressivere und gewalttätigere Muster, die Raum greifen, statt auf Partizipation und Fürsorge zu setzen. Im Dachverband Männerarbeit propagieren wir die Caring Masculinity: Dass Männer sich eben nicht über Konkurrenz definieren, sondern über Kooperation, dass sie fürsorgliche Tätigkeiten übernehmen, Zeit mit ihrer Familie verbringen. Es gilt gesellschaftlich dem Bild entgegenzuarbeiten, dass Männer keine Gefühle haben, nicht weinen, keinen Schmerz zeigen – und für alles eine Lösung haben. Auch in der Täterarbeit ist es eine wichtige Aufgabe, patriarchalen Strukturen etwas entgegenzusetzen. Hier gibt es in Österreich sehr viel Nachholbedarf.
Anders gefragt: Was riskieren Männer denn in unserer patriarchalen Gesellschaft, wenn sie sich verletzlich statt wütend zeigen?
Im hegemonialen Weltbild dient Gewalt zur Durchsetzung von Macht und Kontrolle. Wenn Männer in so einem Weltbild leben und sich verletzlich zeigen, dann fällt diese Kontrolle weg – und das erzeugt Instabilität. Er merkt, dass er nicht mehr die Zügel in der Hand hat. Und auch in dieser Situation ist es ganz wichtig, Männer zu bestärken, aufzufangen, zu beraten. Es muss normal werden, dass man sich Hilfe holt. Nicht nur in puncto Gewalt, auch etwa zu den Themen Kindererziehung oder Vatersein. Viele Kinder, die mit einer negativ besetzten Vaterfigur aufwachsen, sind mit der eigenen Vaterrolle überfordert. Woher soll ich auch wissen, wie ich mich verhalten soll? Da sind wir jetzt nicht mehr bei der Wut und bei der Täterarbeit, aber das sind alles wichtige Puzzlesteine. Nur wenn wir an vielen Schrauben drehen, wird es uns gelingen, männliche Gewalttätigkeit zurückzudrängen. •