Arabische Frauen zwischen Partizipation und Exklusion. Von CILJA HARDERS und HEBA AMR
8. März 2011: Der 100. Frauentag soll auch in Kairo angemessen gefeiert werden. Mit einer Kundgebung auf dem Platz der Freiheit, berühmt geworden durch die Proteste, die seit dem 25. Januar 2011 Ägypten erschüttern und eine politische Transition in Gang gebracht haben. Die soziale und politische Veränderung tief in der Gesellschaft verwurzelter Strukturen jedoch wird einen langen Atem brauchen. Das mussten die, die sich an diesem Dienstag mit dem Slogan „Nein zur Einschränkung von Frauenrechten“ in Kairo für Gleichstellung einsetzten, schmerzhaft erfahren. AktivistInnen sahen sich auf dem Tahrir verbalen Angriffen und Drohungen durch Männer-Mobs ausgesetzt.
Wie ist das zu verstehen? Drei Vorbemerkungen sind nötig, um sich der Situation von Frauen in der arabischen Welt angemessen anzunähern. Erstens: Im Gebiet zwischen Marokko und Saudi-Arabien gibt es viele Unterschiede. „Die“ arabisch-islamische Frau gibt es nicht. Klasse, ethnische und religiöse Zugehörigkeit, Alter und Sexualität sind ebenso wichtig wie die politischen Systeme und nationalen Traditionen, in denen Frauen leben.
Zweitens: Diese Differenzen geraten angesichts der hier häufig sehr stereotypen Wahrnehmung von Frauen dieser Region aus dem Blick. Zudem erleben wir in unseren eigenen Gesellschaften derzeit eine hitzige und oft rassistische Debatte über Islam und Muslime, in der die Frage der Frauenrechte zur symbolischen und faktischen Trennlinie zwischen „ihren“ und „unseren“ Werten stilisiert wird. Gerade verschleierte Frauen werden darin in höchst problematischer Weise zum Sinnbild der Rückständigkeit und damit zur orientalischen „Anderen“ der aufgeklärten westlichen Feministin. Feministisch-orientalistischer Maternalismus ist also bei der Analyse der Rolle von Frauen in den aktuellen Umbrüchen in der arabischen Welt ebenso fehl am Platze wie kulturalistische Beschönigungen.
Drittens: Zugleich befinden sich die Aktivistinnen vor Ort schon lange in dem Dilemma, dass ihr Einsatz für Frauenrechte als „westlich“ und „un-islamisch“ diffamiert wird. Der sogenannte Krieg gegen den Terror, der die 2000er Jahre durch Militarisierung und Kulturalisierung internationaler Politik prägte, hat mit seinem höchst instrumentellen Bezug auf Frauenrechte, etwa im Kontext des Einmarsches in Afghanistan, die Situation von AktivistInnen vor Ort verschärft.
„Alle haben für das Gleiche gekämpft“. Die etablierten Geschlechterverhältnisse in der arabischen Welt sind schon länger unter Druck, aber politische Reformen und gesellschaftlicher Wandel müssen mühsam erkämpft werden. Konservative gesellschaftliche Werte, politischer Autoritarismus, aber auch rassistische Stereotypen im Westen schränkten und schränken die Handlungsmöglichkeiten von AktivistInnen erheblich ein. Mit dem politischen Autoritarismus ist es in Ägypten und Tunesien nun hoffentlich vorbei. Erreicht haben diesen Wandel Männer und Frauen – junge und alte, verschleierte und nicht-verschleierte, arme und reiche, linke, liberale und konservative Frauen. „Während der Revolution war Tahrir der sicherste Platz für mich als Frau. Ich wurde nie angemacht. Alle haben für das Gleiche gekämpft“, berichtet eine der Protestierenden. „Was dann bei der Demonstration am 8. März passiert ist, hat mich geschockt. Als Frauen für ihre Rechte und besonders für strengere Strafen gegen sexuelle Belästigung aufgestanden sind, fühlten sich die Männer angegriffen und provoziert.“ Verfassungsrichterin Tahani al-Gebali sagte dazu in einem Interview mit der Oppositionszeitung „Al-masry al-yaum“: „Einige rückwärtsgewandte Kräfte versuchen sogar diejenigen Rechte infrage zu stellen, die Frauen in Ägypten seit langem genießen.“ Doch was sei falsch an Frauenforderungen, wenn Arbeiter-Innen und alle anderen, die sich an der Revolution beteiligt haben, jetzt ihre Ideen in den politischen Prozess einbringen?
Zwischen Staatsfeminismus und Autoritarismus. Der autoritäre post-koloniale Staat hat eine sehr ambivalente Rolle für Frauen gespielt. In den zunächst reformorientierten, links-nationalistischen Republiken wie Ägypten, Algerien, Libyen, Syrien, Irak und Süd-Yemen begann mit der Unabhängigkeit in den 1950er Jahren auch ein beeindruckender Aufbruch der Frauen im Bereich von Politik, Bildung, Gesundheit, Erwerbsarbeit. 1980 konnten nur 40 Prozent der erwachsenen ÄgypterInnen lesen und schreiben, 2005 waren es 71 Prozent. Die Alphabetisierungsrate der Frauen stieg in derselben Zeit von 25 auf 59 Prozent, ist damit im arabischen Vergleich aber weiterhin eher niedrig. Gleichzeitig stieg die Frauen-Erwerbsquote in allen arabischen Staaten rasant, aber auch sie fällt im internationalen Vergleich (55,8%) mit durchschnittlich 33,4 Prozent zurück.
Der Staat nahm sich der Frauen an und schrieb sich ihre (begrenzte) Gleichstellung auf die Fahnen. Der Preis dafür war das Verbot der seit der Wende zum 20. Jahrhundert in vielen arabischen Staaten entstehenden unabhängigen Frauenbewegungen, der Beschränkung der Frauenpresse und die Einschüchterung von Schriftstellerinnen und Intellektuellen.
Obwohl die meisten Verfassungen Gleichberechtigung garantieren, sieht die politische und soziale Praxis oft anders aus. Einige arabische Staaten wie Ägypten, Marokko, Jordanien, Tunesien und die palästinensischen Gebiete haben deshalb Quotenregelungen für Parlamente oder Parteien eingeführt. Doch was nützt die Frauenquote, wenn die Wahlergebnisse so wie jene in Ägypten im November 2010 gefälscht sind und die Opposition weitgehend ausgeschlossen wird? „Einziges Ziel der Quotenregelung bei den letzten Wahlen war es, Sitze für die Regierungspartei zu gewinnen. Es war egal, ob die Frauen kompetent waren oder nicht“, betont eine Demonstrantin am Tahrir-Platz.
Durchschnittlich sitzen in arabischen Parlamenten elf Prozent Frauen, der Weltdurchschnitt liegt bei 19 Prozent. Frauen sind ebenso in allen politischen Parteien vertreten wie auch in den neuen sozialen Bewegungen, wie sich derzeit eindrücklich zeigt. Sie sind aktiver Teil auch konservativer Bewegungen wie die der Muslimschwestern. Doch im Gremium, das die ägyptische Verfassung überarbeitet, um so den Weg zur Demokratie zu bereiten, sitzt keine einzige Frau. Tahani Al-Gebali, die erste Verfassungsrichterin Ägyptens, ist eine der schärfsten Gegnerinnen des geplanten Referendums zu den Verfassungsänderungen. Sie gehen ihr nicht weit genug. Die streitbare Richterin fordert die Erarbeitung einer komplett neuen Verfassung, die den Präsidialismus verabschiedet und ein parlamentarisches System verankert.
„Das ist doch alles aus dem Westen.“ Viele arabische Verfassungen enthalten Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsartikel, ebenso wie Hinweise auf traditionelles islamisches Recht. Dies fußt vor allem in den sehr konservativen Auslegungen der Idee der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit und Komplementarität der Geschlechter, woraus die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen resultiert. Dies macht sich besonders im Familienrecht (Scheidung, Polygamie, Sorgerecht, Heiratsalter) und im Strafrecht zu Ungunsten von Frauen bemerkbar. Die rechtlichen Bestimmungen und die soziale Praxis in der arabischen Welt sind dabei sehr unterschiedlich: So sind die Regelungen in Tunesien und Marokko fortschrittlich, während die Situation in Saudi-Arabien sehr restriktiv ist.
Frauenrechtsaktivistinnen haben sich in allen arabischen Staaten für Verbesserungen eingesetzt und zum Teil auch erreicht: ein neues Familienrecht in Marokko (2004), ein verbessertes Scheidungsrecht (2000) und ein geändertes Nationalitätenrecht (2004) in Ägypten. In Jordanien konnten Frauen eine Erhöhung des Heiratsalters erreichen, doch die Änderung des Familienrechts wurde durch das Parlament blockiert. In Marokko gingen der Reform des Familienrechts breite öffentliche Debatten einschließlich Massenprotesten von GegnerInnen und BefürworterInnen voraus.
Auch auf dem Tahrir wird heftig debattiert. Nein, Frauen können und sollen keine hohen politischen Ämter innehaben, sie seien zu emotional. Außerdem sollten sie sich um die Kinder kümmern. Die Aktivistin Riem hält dagegen: „Frauen sind nicht nur für Kinder zuständig. Ich fordere nur das Recht der Frauen, jedes politische Amt bekleiden zu dürfen. Wenn eine Frau bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert und du als Mann dagegen bist, dann stimm’ halt dagegen ab.“
Noch erhitzter werden die Debatten, wenn religiöse Argumente fallen – was fordert nun „der Islam“ von den Geschlechtern und was nicht? Darüber gehen die Meinungen auseinander: „Klar sollten auch Frauen einen einfacheren Zugang zur Scheidung haben“, so eine Demonstrantin. Doch eine andere widerspricht: „Scheidungsrecht soll sich nach dem islamischen Recht orientieren. Dies sichert auch meine Rechte.“ Über die politischen und sozialen Differenzen unter Frauen, die sich hier auftun, wird auf dem Tahrir nicht ausführlich geredet. Es dominiert die Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern.
Und die wird zumindest vom Teeverkäufer am Rande des Platzes auch ganz deutlich als Grenze zwischen Arm und Reich wahrgenommen. Er weist auf die Plakate zum Frauentag: „Schau dir an, wie teuer das ist. Wir hatten nicht einmal Pappe, um unsere Forderungen darauf zu schreiben! Das ist doch alles aus dem Westen.“ Ahmed, der die Frauen-Demo mitorganisiert hat, nimmt diese Kritik ernst: „Auf jeden Fall hätten wir die Demo viel einfacher organisieren müssen, damit wir die Leute erreichen können.“ Seine Mitstreiterin Suzi ergänzt: „Wir müssen uns eine Strategie überlegen, um die zu erreichen, die vor allem religiös argumentieren.“
Initiiert wurde die Demonstration von eher säkularen AkteurInnen wie der Facebook-Gruppe „Milioneyet al-mar’a – Eine Million für die Frau“. Dem Aufruf folgten mehrere Organisationen wie „Egyptian Women for Change“,„UN-Women“, „Verein der neuen Frau“ oder das „Ägyptische Zentrum für Frauenrechte“. Sie lassen sich nicht entmutigen und blicken nach vorn: Für den nationalen Tag der ägyptischen Frau, den 16.3, sind weitere Aktionen geplant.
Cilja Harders ist Politologin und leitet die Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients an der Freien Universität Berlin.
Heba Amr hat Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin studiert.
Quellen:
UNDP and The League of Arab States 2009: Development Challenges For The Arab Region: A Human Development Approach: http://content.undp.org/go/newsroom/2009/december/development-challenges-outlined-in-new-arab-states-report.en
Mohammed bin Rashid Al Maktoum Foundation and UNDP 2009: Arab Knowledge Report, Dubai: www.mbrfoundation.ae/English/Knowledge/Pages/AKR.aspx
UNDP 2006: „Towards the rise of Arab Women“, Arab Human Development Report No. 3 (2005), New York: www.arab-hdr.org/contents/index.aspx?rid=5
UNDP: Programm on Governance in the Arab Region (POGAR): www.undp-pogar.org
Inter-Parliamentary Union, Geneva: www.ipu.org