alltägliche grenzerfahrungen
Österreich präsentiert sich international gerne als Land der hemdsärmeligen Gemütlichkeit, als niemals versiegendes Süßspeisenparadies und gütiger Spendenweltmeister. Für die interne Werbung verlässt sich die österreichische Gesellschaft auf Altbewährtes – das langgediente, im Dreivierteltakt rezitierte „Mir-san-mir“-Mantra. Es wird vielstimmig, aber inhaltlich erschreckend einig gesungen: Die Beamtin hinter dem Schalter sagt laut, dass „jetzt amal genug ist“, und fragt, „wieso diese Afrikaner_innen nicht zu ihren Kolonialländern gehen“. Der Vater sagt, über den Sonntagsbraten gebeugt, dass er sich nicht mehr daheim fühlt, „weil überall alles, nur nicht deutsch gesprochen wird“. Und die Politiker_innen des Landes wollen nicht erkennen, wenn ihnen mündige politische Subjekte gegenüberstehen. Blöd nur, dass dies gerade jetzt erforderlich wäre. Und noch blöder, dass diese politischen Subjekte nicht stumm und hilflos sind. Die Gruppe selbstorganisierter Aktivist_innen des Refugee Protestcamps und ihre Unterstützer_innen machen durch ihre Arbeit die Zustände in den Unterbringungen sichtbar, zeigen rassistische Strukturen auf, weisen auf die internationalen Zusammenhänge der Proteste hin. Und schon geht es wieder los mit kollektivem Mantren-Singen: „Waswollendieeigentlichsollendochfrohsein“, tönt es im Powerplay. Was sie wollen? Eine sachliche, nicht individualisierende Debatte auf gleicher Augenhöhe, keine Rettung. Mal überlegen: Wer hat weißen Europäer_innen eigentlich erlaubt, in der ganzen Welt herumzureisen, Fahnen zu hissen, Land zu beanspruchen, sich in lokale Politik einzumischen und Forderungen zu stellen, ja sie gar zu erpressen? Warum ist diese Frage auch in Österreich relevant? Und wer sagt jetzt, mit welcher Berechtigung, dass das alles vorbei sei? Und dass die vormals und nach wie vor Erpressten und Unterdrückten nicht im Umkehrschluss hierher kommen können, um dann – noch dazu nicht leise, aus dem Sichtfeld gedrängt, sondern zentral in einem Innenbezirk der Bundeshauptstadt – Forderungen zu stellen? Eben. Darum Bewegungsfreiheit für alle! Überall! Auch in Österreich!
Belinda Kazeem hat sich mit 18 Jahren ein weinrotes kleines Büchlein (nebst den damit verbundener Privilegien) gekauft, das sie dazu berechtigt, für immer in diesem Land zu leben und sich frei in der Welt zu bewegen.