Auch Seniorinnen treibt die Klimakrise um. Im April errangen Schweizer Aktivistinnen einen historischen Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab den KlimaSeniorinnen recht und stellt damit erstmals fest: Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Das Urteil nimmt europäische Staaten in die Pflicht, Menschen vor der Klimakrise und ihren Auswirkungen zu schützen – die Schweiz sei hier säumig gewesen. In der Klage hatten sich die Seniorinnen auf die immer häufigeren und intensiveren Hitzeextreme berufen, die besonders die Gesundheit älterer Frauen gefährden, und damit aufs richtige Pferd gesetzt. Die Euphorie ist groß – an guten Nachrichten mangelt es schließlich dieser Tage. Expert*innen jedoch dämpften diese sogleich. Das Urteil sei „rein deklaratorisch“, konkrete Vorgaben für die Schweiz fehlen. Immerhin starken Symbolcharakter dürfte die historische Entscheidung dennoch haben. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bekämpfung des Klimawandels, die zuletzt durch Krieg und Teuerung medial in den Hintergrund geraten war. Und dafür gibt es keinen Anlass: Die Werte von Kohlenstoffdioxid, Methan und Distickstoffmonoxid – die drei wichtigsten menschenverursachten Treibhausgase – sind 2023 weiter angestiegen und befinden sich auf Rekordniveau. Der CO2-Anteil in der Atmosphäre ist aktuell um fünfzig Prozent höher als in der vorindustriellen Zeit, meldete die US-Klimabehörde NOAA. 2023 war das heißeste Jahr der Messgeschichte, Dürren sorgen für Ernteausfälle, Hitzerekorde plagen Menschen weltweit und bedrohen vor allem vulnerable, alte und vorerkrankte Menschen.
Die große Krise unserer Gegenwart sollte uns zusammenrücken lassen – eine politische Vision, die auch trotz bereits spürbarer Auswirkungen geradezu naiv erscheint. Und dennoch: Resignation ist keine Option. In der Klimapolitik braucht es neue Allianzen, die möglichst viele Menschen abholen und einbinden, die die enorme Dringlichkeit der Lage vermitteln und dabei auf Machbarkeit statt apokalyptische Ausweglosigkeit setzen.
Die Grünen, die Klima- und Umweltpolitik wie wohl keine andere Partei vorangetrieben haben, taugen nur bedingt zur Massenmobilisierung. Slogans, mit denen sie ihr Klientel beackern („Es gibt keinen Planet B“, „Bio macht schön“), erreichen kaum Menschen, die existenziellere Sorgen haben als die Lebensqualität künftiger Generationen. Die Linke wiederum hat erst spät erkannt, dass die Klimakrise die wohl drängendste Klassenfrage unserer Zeit ist: Klimaveränderungen werden zuerst jene Regionen unbewohnbar machen, in denen schon jetzt Menschen unter Armut und schlechter Gesundheitsversorgung leiden, die Krise wirkt auch hierzulande bis in die Beton-Bezirke, wo Wohlhabende Klimaanlagen installieren, während Menschen mit geringem Vermögen unter schlechterer Luftqualität und Hitzeinseln leiden. Auch einzelne Aktivistinnen, die fraglos hunderttausende (vor allem junge) Menschen inspiriert haben, taugen nicht als Erlöserfiguren: Die konkrete, zähe Klimapolitik können wir nicht auf ihre Schultern laden, schnell fallen einzelne Personen außerdem in Ungnade oder wechseln in die Parteipolitik.
Doch es gibt auch neue Initiativen. Im vergangenen Jahr haben sich Aktivist:innen und Gewerkschaften zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das Modellcharakter haben könnte: Unter dem Slogan „Menschen und Klima schützen statt Profite“ solidarisieren sich Klimaaktivist:innen von „Fridays for Future“ und „System Change not Climate Change“ mit Beschäftigten am Bau, an Bord sind Arbeiterkammer und die Gewerkschaft Bau-Holz. Am Bau, wo Arbeiter:innen oft in extremer Hitze schuften und z. B. massiv von weißem Hautkrebs betroffen sind, ist eine Reform des Arbeitsrechts dringend nötig. Gewerkschaften hätten entgegen ihres Rufs viel für Umwelt- und Klimaschutz geleistet, sagt die britische Wissenschafterin Karen Bell, ebenso wie Aktivist:innen im Globalen Süden, allen voran Frauen, die medial jedoch kaum vorkommen. Allianzen, die auf generationen- und klassenübergreifende Solidarität setzen, wird es vor allem angesichts einer zunehmend schamlosen, rechtspopulistischen Politik brauchen, die nicht davor zurückschreckt, Klimaforschung in Zweifel zu ziehen und je nach Stimmungslage gegen Radfahrer:innen oder Photovoltaik polemisiert. Von klimafreundlicher Politik werden schließlich alle profitieren – und Frauen nicht einmal mehr die Zeche bezahlen.