leben mit kindern
Meine Tochter T., damals sieben Jahre alt, stellt sich, Schuhe ausgezogen, auf ihr Sitzpolster am Fenster und lehnt sich lässig über ihre Lehne, um so das ganze Großraumabteil zu überblicken. Ich sitze neben ihr auf dem Gangplatz. Im Sesselpaar hinter uns positioniert sich nun ein Mädchen genauso, es ist etwas älter als T.. Die beiden beginnen schräg über meinen Kopf hinweg eine Konversation. Bald höre ich ein entsetztes „WAS? Du ARME! Du hast keinen Papa? Das geht doch gar nicht!“ „Doch. Der kam aus der Fabrik, also der Samen von dem.“ Dabei wirft mir T. ein verschmitztes Lächeln zu, was ich als „Da kennt sich eine mal wieder nicht aus“ interpretiere. „WAS? Ich kapier’ gar nichts!“ T. erläutert daraufhin ausführlichst für das gesamte Abteil, wie das Sperma aus der Fabrik in den Bauch ihrer Mutter kam, und ergänzt abschließend fast ein bisschen altklug: „Und es gibt so einen Vertrag (1), dass ich meinen Papa kennenlernen kann, wenn ich achtzehn Jahre alt bin.“ „WAS? Vertrag?! Was für einen Vertrag? Du ARME! Wie schrecklich! Du kennst deinen Papa nicht!“ „Aber in elf Jahren.“ Mittlerweile ist das Abteil über alle familiären Details informiert, ganz still ist es geworden, niemand anderes unterhält sich mehr; verstohlene Blicke lugen hinter Zeitungen und Laptops hervor.
Das Mädchen deutet verwirrt auf mich: „Und das ist deine Mama?“ „Nein, das ist meine Mami, die hat mich adoptiert.“ „WAS? Wieso das denn?“ „Weiß ich auch nicht so genau.“
Jetzt möchte ich auch mal was zum Thema sagen, aber T. wirft mir ihren strengen Blick zu und rollt dann mit den Augen, soll heißen: Halt dich da raus! – Mach ich. „Du ARME!“ (Meine Finger krallen sich jetzt in die Seitenlehne) „Das ist so schlimm, dass du keinen Papa hast!“ Meine Tochter wird ernster und sagt – nicht vorwurfsvoll, eher enttäuscht: „Das hast du jetzt aber schon sehr oft gesagt.“
(1) Spermien deutscher Samenbanken sind sogenannte Yes-Spenden. Volljährige Kinder erhalten die Kontaktdaten des Spenders und können ihn kennenlernen.
Theo Hoffnungsthal und ihre Tochter leben in unterschiedlichen Ländern und fahren deshalb oft gemeinsam Zug. Manchmal haben sie bunte Knete dabei und formen sich unterwegs eine Queer-Community, um in guter Gesellschaft zu sein.