„Ein Teil von mir denkt: Das ist eine verdammte Katastrophe. Aber der andere Teil von mir wusste, dass es passieren würde“, formuliert es Autorin und Aktivistin Mona Eltahawy im „Guardian“. Fünfzig Jahre habe die christliche Rechte darauf hingearbeitet, nun stehen sie kurz vor einem historischen Triumph: Wie ein Supreme-Court-Leak Anfang Mai zeigte, könnte das Grundsatzurteil Roe v. Wade und damit das geltende Abtreibungsrecht in den USA bald Geschichte sein. In zahlreichen republikanisch regierten Bundesstaaten warten restriktive Gesetze bereits auf ihre Umsetzung – Gesetze, die den Schwangerschaftsabbruch massiv einschränken oder gleich ganz verbieten würden.
Die USA ständen vor einem Schritt zurück in die Zeit der blutigen und lebensgefährlichen Hinterhof-Abtreibungen, wie es die – wütende – demokratische Senatorin Elizabeth Warren formulierte. Abtreibungsverbote, das wissen wir auch in Österreich, verhindern keine Abtreibungen, sie gefährden vielmehr die Gesundheit und das Leben ungewollt Schwangerer. Und diese Risiken sind keineswegs gleich verteilt: Entsprechende Gesetze werden in den USA ungewollt Schwangere aus der Arbeiter*innenklasse treffen, queere und Schwarze Frauen und Frauen of Color. All jene, die nicht über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen, die ihren Arbeitsplatz nicht einfach für mehrere Tage verlassen können, um in einen anderen Bundesstaat zu fliegen, stehen vor gewaltigen Hürden.
Von tatsächlicher reproduktiver Gerechtigkeit sind die USA schon jetzt weit entfernt, Rassismus und Klassismus sind in das lückenhafte Gesundheitssystem eingeschrieben.
Seit Jahren steigt die ohnehin hohe Müttersterblichkeit. Auf 100.000 Lebendgeburten kamen 2020 23.8 Todesfälle, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Geburt standen, bei Schwarzen Frauen ist die Rate dreimal so hoch.
Der aktuelle Fall wirkt aber auch weit über die USA hinaus: Christlich-fundamentalistische und rechte Kräfte werden sich gestärkt sehen in ihrem Kreuzzug gegen Frauenrechte, ihre Netzwerke sind auch in Europa, in Österreich und Deutschland bestens verankert. Politisch darf das nicht länger kleingeredet werden: Am feministischen Kampf dafür, Schwangerschaftsabbrüche als normale Gesundheitsleistung zu etablieren, müssen alle jene mitwirken, die sich nicht in die Reihen der scheinheiligen „Pro Life“-Fraktion einordnen wollen.
Politisch existieren einige Baustellen. In Deutschland kommen Reformen trotz Aufbruchsstimmung in der Ampelkoalition nur schleppend voran, in Österreich interessiert sich die Regierung wenig dafür, dass der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch in vielen Bundesländern äußerst lückenhaft ist. Obwohl die Abtreibungspille Mifegyne mittlerweile auch von niedergelassenen Gynäkolog*innen abgegeben werden darf – ein wichtiger gesundheitspolitischer Schritt – habe sich die Versorgung in der Praxis kaum verbessert, recherchierte Eja Kapeller im vergangenen Sommer für den „Standard“. Statistische Erhebungen fehlen, der Absatz des Medikaments sei nicht gestiegen, teilte der Zulassungsinhaber mit. In Deutschland schlagen Ärztinnen schon lange Alarm: Junge Kolleginnen, die Schwangerschaftsabbrüche in der eigenen Praxis durchführen, würden fehlen. Selbst liberale Gesetze nützen wenig, wenn die gesundheitliche Versorgung ungewollt Schwangerer nicht auch in der Praxis sichergestellt wird.
Aber auch innerhalb feministischer Bewegungen muss mehr Bewusstseinsarbeit geleistet werden. In jeder Debatte zum Recht auf Abtreibung tauchen – vermutlich in bester Absicht geäußerte – Argumente auf, ein Schwangerschaftsabbruch sei stets eine unglaublich schwierige Entscheidung und ein einschneidendes Erlebnis. Kann sein – muss aber nicht. In der berühmten US-amerikanischen Turnaway-Studie gaben ganze 95 Prozent der Befragten fünf Jahre nach dem durchgeführten Eingriff an, dass die Abtreibung für sie die richtige Entscheidung gewesen sei. „Wir sind niemandem eine Erklärung oder einen Grund für unsere Abtreibung schuldig. Genauso wie wir drauf bestehen, das Szenario des ‚würdigen Opfers‘ bei sexuellen Übergriffen abzulehnen, müssen wir auch die ‚würdige Empfängerin‘ einer Abtreibung ablehnen“, twitterte Mona Eltahawy. •