Lebensmittel, Energie, Wohnen – das Leben wird rasant teurer. Frauen zahlen, wie so oft, einen besonders hohen Preis.
Von Laura Helene May
Nach mehr als einem Jahr will Karoline* endlich wieder einmal Abendessen gehen. Die Einladung ist ihr persönlich wichtig, sie sagt zu und organisiert eine Betreuung für ihren anderthalbjährigen Sohn. Dann kommt die Nachricht, dass das Geburtstagskind zwar die Drinks bezahlt, das Dinner selbst aber sechzig Euro kostet. Das sind fünf Prozent des gesamten Monatsbudgets der Alleinerziehenden – sie muss wieder absagen. „Das Schlimme ist, dass soziales und ökonomisches Kapital Hand in Hand gehen. Da wird man immer mehr zur Alleinerziehenden, im Sinne von allein allein“, sagt sie.
Die 31-jährige Wienerin, die den Abend schlussendlich wieder in ihrer Gemeindewohnung verbringt, ist kein Einzelfall. Wie schon die Finanzkrise oder die Corona-Pandemie zeigt auch die aktuelle Teuerungskrise deutlich, dass die steigenden Kosten nicht alle Menschen gleich stark belasten. „Steigende Preise treffen vor allem Haushalte mit geringen Einkommen – und das sind mehrheitlich Frauen, Haushalte mit Kindern und ganz besonders Alleinerziehende“, sagt Ökonomin Sophie Achleitner, die am Momentum-Institut forscht. „Wenn der Einkauf teurer wird und Entlastungen von der Regierung fehlen oder zu spät kommen, muss folglich mehr privat kompensiert werden“, kritisiert sie. Während andere auf Urlaub, Auto oder Freizeitangebote verzichten müssen, seien Menschen mit besonders niedrigem Einkommen von den Preissprüngen des freien Marktes so stark getroffen, dass es für sie gar keinen Spielraum mehr gebe. „Die Teuerung trifft viele Frauen dort, wo es besonders weh tut: bei den Grundbedürfnissen.“
Großes Geschäft für große Konzerne. „Die aktuelle Preiskrise trifft mich auf jeden Fall im Alltag“, bestätigt auch Karoline. Vor allem die Ausgaben fürs Essen seien eine große Belastung. Die junge Mutter hat für ihren Master bis 2023 in Berlin gelebt. Als sie zurück nach Wien kam, waren die Lebensmittelpreise in astronomische Höhen geschnellt, erinnert sie sich. Vor allem die Preise für Frische- und Milchprodukte waren explodiert. „Milch hat man noch für unter einem Euro kaufen können, bevor ich nach Deutschland gegangen bin“, erinnert sie sich. Heute nähert sich der Milchpreis den zwei Euro an. Dass die Preise für Lebensmittel in Österreich so viel höher sind als in Deutschland (rund 23 Prozent), liegt auch am sogenannten „Österreich-Aufschlag“. Sogenannte territoriale Lieferbeschränkungen verhindern, dass der Einzelhandel Produkte aus anderen EU-Ländern zu günstigeren Preisen einkauft, weshalb identische Produkte in Österreich oft deutlich teurer sind als im Nachbarland, erklärt Achleitner. Das verstoße gegen jede Logik von fairen Märkten und liefere Konsument:innen den teils exorbitanten Preisen aus. Die EU-Kommission hat gegen solche Praktiken bereits Strafen verhängt, etwa gegen den US-Konzern Mondelez, der Marken wie Milka und Oreo anbietet. „Jetzt braucht es politischen Druck, diese Lieferbeschränkungen EU-weit zu verbieten“, fordert die Ökonomin. Die Praktik gegen das an Marktmacht unterlegene Österreich erinnere an Gender-Pricing, jenes Phänomen, das auf Frauen ausgerichtete Produkte teurer macht. Ein Beispiel dafür sind Rasierer, die mehr kosten, nur weil sie rosa sind und nicht blau. Wie bei den Lebensmitteln fehlt es laut Achleitner an wirksamer Regulierung. Profite würden auf Kosten derer gemacht, die wenig Handlungsspielraum haben. „Marktmacht wird genutzt, um strukturell höhere Preise durchzusetzen: Sei es gegenüber einem kleineren Land oder gegenüber bestimmten Konsument:innengruppen.“
Die Mietkosten sind explodiert. Die Marktdynamik hat realen Einfluss: Karoline zahlt für eine Salatgurke der Rewe-Group in Wien, zu der auch Billa gehört, 1,79 Euro, während die gleiche Gurke bei Rewe in Berlin 0,75 Cent kostet. Gesunde Ernährung für sie und ihren Sohn wird in Österreich so zur Herausforderung im Alltag. Entlastung im Vergleich zu Berlin bringt hingegen die Gemeindewohnung, in der sie seit einem Dreivierteljahr lebt. „Wohnen in Wien ist entspannter“, sagt sie. Trotzdem sei der Wohnraum nicht billig, Karoline sorgt sich um laufende Preissteigerungen der Betriebskosten, die schon in den ersten drei Monaten um fünfzig Euro gestiegen seien. Den Aufwärtstrend bestätigt auch Ökonomin Achleitner: „Die Mietkosten in Österreich sind regelrecht explodiert“, sagt sie und verweist auf eine Steigerung um 70,3 Prozent zwischen 2010 und 2024. In Deutschland stiegen die Mieten im selben Zeitraum um „nur“ 23 Prozent. Dennoch gebe es wohnbaupolitische Errungenschaften, die die Wohnkostenbelastung im Vergleich zu Deutschland kleiner halten. „Österreich hat einen viel stärkeren Mieter:innen-Schutz als Deutschland, außerdem gibt es dort kaum gemeinnützige Wohnbauten.“
Karoline zahlt in Wien 550 Euro kalt für 47 Quadratmeter, ihre monatlichen Fixkosten belaufen sich so auf rund 700 Euro. Die Rechnung ist simpel: 210 Euro Kindergeld, 550 Euro Kinderbetreuungsgeld plus Aufstockung mit Mindestsicherung auf 1.200. Pro Woche bleiben der Alleinerziehenden etwa 100 Euro für alle Ausgaben – unvorhergesehene Ausgaben darf es da nicht geben.
Lückenfüllerinnen. Drastische Einschnitte beschloss die deutsche Regierung kürzlich beim Bürgergeld, das künftig Grundsicherung heißen wird. Dieser „Angriff auf den Sozialstaat“, von dem Kritiker:innen sprechen, wird Alleinerziehende besonders treffen.
Ein wichtiger Faktor, sowohl für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt als auch zur Bewältigung von Haushalt und Alltag wäre eine sichere und bezahlbare Kinderbetreuung – doch so einfach ist das nicht. Für die städtische Betreuungseinrichtung braucht Karoline in Wien eine Arbeitgeberbestätigung, die belegt, dass sie wieder anfängt zu arbeiten. Sie muss aber erst einen Platz finden, um sicher zu sein, dass ihr Sohn während ihrer Arbeitszeit gut aufgehoben ist. „Erst dann kann ich eine Arbeit annehmen. Die Strukturen bei der Kinderbetreuung sind auf ein Zwei-Eltern-System ausgelegt“, sagt Karoline. Private Betreuungen seien wiederum teurer. Und auch wenn sie teilweise gefördert werden, ist es schwierig, einen Platz zu finden. Aktuell bräuchte sie Babysitter für zwischendurch, doch sie kann es sich nicht leisten, eine Person fair zu bezahlen. „Es ist außerdem frustrierend, dreißig Euro für zwei Stunden zu zahlen, in denen ich dann staubsaugen und Wäsche waschen kann.“
Laut Achleitner ist es ganz klar Aufgabe der Politik, soziale Infrastruktur zu finanzieren. „Verantwortung wird stillschweigend an private Haushalte ausgelagert. Wenn Betreuungsangebote nicht mehr leistbar sind oder gekürzt werden, müssen das die Betroffenen selbst auffangen: Frauen und Mütter werden zu Lückenfüllerinnen, wann immer die Regierung staatliche Transfers und soziale Dienstleistungen gekürzt hat.“ Was es laut der Ökonomin braucht, sei ein Maßnahmenbündel, das die Preise für Grundbedürfnisse rasch senkt: Mietpreisbremse, Ausbau der sozialen Infrastruktur etwa für Kinderbetreuung und Pflege, Regulierung der Energiepreise wie in der Schweiz, befristete Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel wie etwa in Portugal oder Polen und eine verpflichtende Lohntransparenz. Nicht nur Karoline und ihrem Sohn wäre damit sehr geholfen.
*Name von der Redaktion geändert