Nicht allein Muslim:innen leiden unter der Gleichzeitigkeit von Fundamentalismen, deshalb müssen Islamismus und Rechtsextremismus gemeinsam bekämpft werden. Laura Lorîn Şahan über gefährliche Netzwerke und mörderische Ideologien.
Nach den jihadistischen Attentaten von Wien, Paris, Kabul und Nizza im vergangenen Herbst richtete sich eine „Gruppe von Frauen und Queers, die seit Jahren (…) gegen Islamismus kämpfen“, mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit. Darin verweisen sie auf die globalen feministischen und queeren Kämpfe gegen Islamismus und die innenpolitischen Versäumnisse im Umgang mit türkischem Rechtsextremismus und salafistischen Gruppen in Deutschland. Zugleich kritisieren sie die außenpolitische Zusammenarbeit mit autoritären bis islamistischen Regimen wie der Türkei, Saudi-Arabien und dem Iran.
Während der innenpolitische Diskurs nach jihadistischen Anschlägen von Beileidsbekundungen meist schnell in eine Kulturalisierung und Externalisierung des Terrors umschlägt, werden weiterhin Handelsbeziehungen mit jenen Ländern gepflegt, die reaktionäre und islamistische Strömungen finanziell und politisch unterstützen. Jihadistische Terroristen sind keine Einzeltäter, ihre legalistisch-islamistischen Netzwerke werden von unterschiedlichen Staaten gezielt gefördert, um eigene ideologische, ökonomische und geopolitische Interessen durchzusetzen. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Türkei. Die regierende „Volksallianz“ – ein Wahlbündnis aus der islamisch-konservativen AKP und der rechtsextremen MHP – macht deutlich, wie einfach sich eine fundamentalistisch-konservative „Berufung“ auf den Islam und rechtsnationales Gedankengut miteinander verbinden lassen. Derartige islamistisch-rechtsextreme Netzwerke lassen sich auch in ganz Europa unter Namen wie „Türkische Konföderation“ finden und zählen in vielen Ländern zu den einflussreichsten rechtsextremen Organisationen.
Verstrickungen. In Österreich gibt es unzählige dieser Vereine, die sich hinter Begriffen wie „Kulturverein“ verstecken und politische sowie finanzielle Verbindungen zu den türkischen Regierungsparteien haben. Einer der größten dieser Vereine ist die ATIB Union, die „Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“, die mit sechzig Vereinen und über 100.000 Mitgliedern auch Teil der „Islamischen Religionsgemeinschaft in Österreich“ ist und zeitweise sogar deren Präsidenten stellte. Der ATIB Union Dachverband gilt als Auslandsarm der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die direkt Recep Erdoğan unterstellt ist. Neben der Verwaltung religiöser Angelegenheiten ist sie auch für ihren ideologischen Kampf gegen die kurdische Freiheitsbewegung im Osten und Südosten der Türkei und für ein besonders konservatives Frauenbild bekannt.
Diese Verstrickungen stellen auch für politisch anders gesinnte Muslim:innen und Gegner:innen der türkischen Regierung eine große Gefahr dar. So tauchen immer wieder Berichte über Bespitzelungen in Moscheen auf. Erst kürzlich wurde bekannt, dass ein Ex-Agent des türkischen Nachrichtendienstes in Österreich mit mehreren Mordaufträgen an Regimekritiker:innen beauftragt war. Einer dieser Anschläge hätte Berîvan Aslan gelten sollen. Die ehemalige Frauensprecherin der Grünen sitzt seit November im Wiener Gemeinderat, seit Jahrzehnten ist sie eine laute Kritikerin der türkischen Regierung und deren fundamentalistisch-nationalistischer Ideologie. Als Feministin, Kurdin und Frau in der Öffentlichkeit ist sie vielen Anhänger:innen des Erdoğan-Regimes ein Dorn im Auge. Aslan ist aber nicht nur Zielscheibe für islamistische Fundamentalist:innen, sondern auch für rechtsextreme Rassist:innen. Migrant:innen müssen schließlich ebenso als Projektionsfläche für antimuslimische Ressentiments herhalten, völlig unabhängig von ihrem tatsächlichen religiösen oder kulturellen Hintergrund. Der extremen Rechten geht es dabei nicht um eine reale Kritik am Islamismus und dessen menschenverachtender Ideologie, vielmehr ist ihr Verhältnis zum Islamismus durch Ambivalenz geprägt. Viele Rechtsextreme blicken mit Bewunderung auf islamistische Regime und Bewegungen – diese sollen jedoch dort bleiben, wo sie den rassistischen Vorstellungen nach „hingehören“.
Große Ähnlichkeit. Die „autochtone“ extreme Rechte und ihr islamistisches Gegenüber nähren sich beide aus der gesellschaftlichen Spaltung, die der vorherrschende rassistische Diskurs produziert, und sind sich um vieles ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wie der Rechtsextremismusforscher Heribert Schiedel ausführt, besteht ihre „Ähnlichkeit (…) nicht nur auf ideologischer Ebene, im Antisemitismus, Antifeminismus und Antiliberalismus, sondern auch in den jeweils vorherrschenden Konzepten von Identität, Männlichkeit und Wehrhaftigkeit, in der Fetischisierung von Gewalt und des Todes, im Einheitstick, in der Rekrutierung und virtueller Propaganda“. Das vorherrschende Konzept von Identität, die pauschalisierende Islamkritik von rechts und das von Islamist:innen geförderte Bild der bedingungslos loyalen muslimischen Weltgemeinschaft führen dazu, dass heute ein essentialistisch gedachtes Bild von Muslim:innen vorherrscht. Die weltweiten Opfer des Islamismus werden dabei nur noch für politische Stimmungsmache instrumentalisiert. Damit öffnet sich für muslimisch geprägte Menschen ein Resonanzraum, der islamistischen Gruppen die Rekrutierung erleichtert – abzulesen an der wachsenden Zahl von Jugendlichen, die ihr Leben dem Jihad widmen. Bezeichnenderweise sind es besonders viele in jenen Ländern, in denen sie mit antimuslimischen Ressentiments konfrontiert sind. Die erzeugten gesellschaftlichen Risse entlang identitärer Grenzlinien werden ganz gezielt vertieft, da sie eine Stärkung beider fundamentalistischer Bewegungen ermöglichen. Der Zulauf, den islamistische Vereine erfahren, ist also genauso hausgemacht wie der Aufstieg der „traditionellen“ politischen Rechten in Europa. Und perfiderweise ist es dieselbe europäische Politik, die nach terroristischen Anschlägen mehr Abschiebungen, Überwachung und Polizei fordert, die zugleich vom Handel mit islamistischen Regimen profitiert und diese mit Waffen beliefert.
Subalterne Stimmen. Linke Positionen dazu bleiben oft unterkomplex, denn sie reproduzieren meist identitäre Vorstellungen von Muslim:innen und bestärken damit einen Diskurs, der keinen Unterschied zwischen einer globalen, reaktionären Bewegung wie dem Islamismus und der spirituell-kulturellen Auslebung von Religion macht. In antirassistischen Kämpfen wird zudem Diskriminierungserfahrung oft mit emanzipatorischer Haltung gleichgesetzt, was Migrant:innen als politische Subjekte entmündigt. Die Linke sollte islamistische Täter:innen als politisch Handelnde ernst nehmen – sowie auch ihre mörderische Ideologie. Eine Ideologie, die für Terror, Genozide, antifeministische Ressentiments und für Gewalt gegen doppelt diskriminierte Minderheiten und Andersdenkende verantwortlich ist. Es fehlt der Fokus auf die subalternen Stimmen der Betroffenen: die Stimmen von Jüd:innen, Êzîd:innen, Alevit:innen, Assyrer:innen, Queers, Feminist:innen, Atheist:innen, Linke – aber auch von Muslim:innen, der größten Gruppe von Opfern islamistischer Gewalt, sowie von Migrant:innen weltweit, die sowohl unter Islamismus als auch unter seinem rassistischen Gegenüber zu leiden haben, an der Gleichzeitigkeit von Fundamentalismen. Spätestens seit den Angriffen auf türkische und kurdische Feminist:innen und Vereine in Wien im vergangenen Juni ist klar, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Netzwerken des legalistischen Islamismus und dem türkischen Rechtsextremismus überfällig ist. Es braucht mehr kollektive Kämpfe gegen die faschistoiden globalen Herrschaftsansprüche des Islamismus, ohne dabei die Explosivität des Rassismus zu unterschätzen oder die Marginalisierung von Muslim:innen voranzutreiben. Die Antwort darf weder Rassismus und antimuslimische Hetze noch die Verklärung von islamistischer Gewalt sein. Es gibt sie jedoch, die effektiven Antworten: Sie werden derzeit in Rojava praktiziert und gelebt. Die kurdischen Verteidigungseinheiten haben den jihadistischen Daesh besiegt und ein feministisch-ökologisches Autonomiegebiet in demokratischer Selbstbestimmung und kultureller Vielfalt errichtet. Ihr Kampf ist kein ferner, sondern einer, den es weltweit gegen die Gleichzeitigkeit der Fundamentalismen und deren Zusammenstoß zu führen gilt.
Der Terror des vergangenen Herbstes und die geplanten Angriffe auf feministische Aktivist:innen führen uns erneut vor Augen, wie dringend islamistischem Fundamentalismus, faschistischem Gedankengut, aber auch Rassismus und allen anderen menschenfeindlichen Ideologien begegnet werden muss. Mögen Rechtsextremismus und Islamismus noch so unvereinbar erscheinen – schlussendlich sind sie zwei streitende Brüder im Geiste. Um ihnen langfristig ihre materiellen wie auch diskursiven Grundlagen zu entziehen, müssen die Gegenkonzepte umso feministischer, emanzipatorischer, systemkritischer und antifaschistischer ausfallen.
Laura Lorîn Şahan ist Zeithistorikerin, Autorin und arbeitet in verschiedenen antifaschistischen und kurdischen Kontexten in Wien.
1 Kommentar zu „Brüder im Geiste“
Ein sehr guter Text – danke! Ich bin nicht der größte Fan eurer Zeitschrift, aber ihr seid weitaus lesenswerter als die „EMMA“ – nicht zuletzt dank solcher Texte.