Die dreiteilige Reihe „Klassikerinnen feministischer Theorie“ besticht durch programmatische Texte – auch für die politische Praxis. Von LEA SUSEMICHEL
„Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Sätze wie dieses wohlbekannte Diktum aus Simone de Beauvoirs Werk „Le Deuxième Sexe“ („Das andere Geschlecht“), das es auf Buttons, Hauswände und Transparente geschafft hat, zeigen: Feministische Theorie ist mit feministischer Bewegung unmittelbar verbunden. Wie jede soziale Bewegung braucht auch der Feminismus unbedingt seinen Lektüre-Kanon, liefert er doch das Futter für Aktivismus. Schließlich ist und war die Biografie jeder aufrechten Kämpferin zu allen Zeiten nur schwer denkbar ohne eine euphorische erste Begegnung mit emanzipatorischen Schriften. Eine Textsammlung von „Klassikerinnen feministischer Theorie“, wie sie nun im Ulrike Helmer Verlag in drei Bänden erschienen ist, stellt deswegen nicht nur ein Lehrbuch „für Studium und Weiterbildung“ bereit, wie es im Klappentext heißt, sondern ist auch eine wichtige Ressource für aktivistisches Engagement.
Gesellschaftskritik mit Lücken. Folgerichtig definieren die Herausgeberinnen des soeben erschienenen letzten Bandes feministische Theorie auch konsequent als feministische Gesellschaftskritik. Das Buch, das den Zeitraum von 1986 bis heute abdeckt, versammelt Schlüsseltexte von Rosi Braidotti bis Gayatri Chakravorty Spivak und enthält einige erfreulich explizit kapitalismuskritische Positionen. Womit wohl auch dem oft geäußerten Vorwurf einer Entpolitisierung feministischer Theorie seit dem „linguistic“- und „queer turn“ begegnet werden soll. Leider hat dies zur Folge, dass nur die Pionierinnen Judith Butler und Eve Kosofsky Sedgwick als queere Autorinnen vertreten sind. Eine andere Leerstelle wiegt allerdings noch schwerer: Als Vertreterinnen des Black Feminism tauchen in allen drei Bänden der Reihe nur Sojourner Truth – die bereits 1851 an weiße Frauenrechtlerinnen die Frage „Ain’t I a Woman?“ richtete – und Patricia Hill Collins auf, zentrale Impulsgeberinnen wie Angela Davis, Audre Lorde oder bell hooks fehlen.
Jede Auswahl hinterlässt zwangsläufig Lücken – doch zweifelsohne wird mit dem vorliegenden Versuch einer Kanonisierung feministischen Wissens auch ein fundamentaler Gap geschlossen. So wird mit den „Klassikerinnen feministischer Theorie“ nicht nur ein Nachschlagewerk gerade für jüngere Studierende geliefert, sondern zudem die schöne Tatsache belegt, dass feministische Forschung auch über die Grenzen der Scientific Community hinaus immer wieder wirkmächtig war.
Kontextualisierte Debatten. Alle Texte werden mit Kurzbiografien ihrer Verfasserinnen, einem Überblick über deren Werk sowie seiner Rezeption eingeleitet. Die Einführungen bieten Kontextualisierung und auch Kritik, mal überwiegt die Würdigung der Leistung der jeweiligen Theoretikerin, mal ist die kritische Einordnung auch elaborierter.
Während der letzte Band vor allem das Thema Differenz umkreist – die Debatte um die Sex/Gender-Differenz wie auch jene um Differenzen zwischen Frauen – hat es sich der zweite Band (1920–1985) unter anderem zur Aufgabe gemacht, die Zwischen- und Nachkriegsära hinsichtlich ihres feministischen Outputs zu rehabilitieren. Der Zeitraum zwischen Erster und Zweiter Frauenbewegung gilt gemeinhin als feministische Durststrecke, was mit dem Verweis auf z.B. Simone de Beauvoir, Betty Friedan oder Virginia Woolf jedoch relativiert wird. Daran anschließend enthält der Band Schlüsseltexte der „Second Wave“, die nach Kategorien wie etwa „Lesbischer Feminismus“, „Sozialismus“, „Sexualpolitik“ oder „Differenzfeminismus“ gruppiert sind. Eine Fülle an Materialien der Ersten Frauenbewegung und ihrer Vorläuferinnen stellt auch schon der erste Band bereit: Er deckt den Zeitraum 1789 bis 1919 ab und steigt mit Olympe de Gouges und ihrer ebenfalls Transparente-tauglichen Frage ein: „Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?“
Ute Gerhard, Petra Pommerenke, Ulla Wischermann (Hg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte Band 1 (1789–1919), Ulrike Helmer Verlag, 30,80 Euro
Ute Gerhard, Susanne Rauscher, Ulla Wischermann (Hg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte Band 2 (1920–1985), Ulrike Helmer Verlag, 30,80 Euro
Helma Lutz, Marianne Schmidbaur, Ulla Wischermann (Hg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Band 3, Grundlagentexte ab 1986, Ulrike Helmer Verlag, 30,80 Euro
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